Ist das die Mobilitätswende?

Kommentar von Uwe Schröder

In der Stadtteilentwicklung Groß Borstels haben wir seit Jahrzehnten ein Thema, das immer wieder die Gemüter erhitzt: die Borsteler Chaussee. Sie schlängelt sich mehr oder weniger schnurstracks von Norden nach Süden. Bewegt täglich – besonders nervig in den Stoßzeiten – 23.000 Fahrzeuge (zumeist mit nur einer Person besetzt), verbreitet Abgase und Lärm. Und sie ist eine Gefahr für Anwohner, die vom Ostteil zum Westteil (oder andersherum) des Stadtteils wollen. Warum?

Die Ampelphasen für Fußgänger und Fußgängerinnen sind zu kurz. Drastisch zu beobachten an der Ampelquerungen bei der Carl-Götze-Schule. Hier drängeln sich die Schüler auf dem Weg zur Schule oder am Nachmittag nach der Schule vor den Ampeln. Sie können dort minutenlang die Ampelmännchen in Rot beobachten. Vorrang hat der Autoverkehr. Die Ampel ist – fast wollte ich sagen: natürlich – nicht bedarfsgerecht geschaltet.

Im September beschloss deshalb die Mitgliederversammlung des Kommunalvereins, die Bezirksversammlung soll gebeten werden, Tempo 30 an der Borsteler Chaussee zumindest zwischen Schrödersweg und Woltersstraße und längere Ampelphasen für „Zu Fuß Gehende“ (Fußgänger!) zu beantragen. Was sie prompt tat. Danke dafür!

Komischerweise ist die Tempo-30-Strecke dann nur vom Schrödersweg bis kurz vor dem Brödermannsweg eingerichtet worden. Sie endet genau an der Stelle, wo es dringend benötigt wird: an der Carl-Götze-Schule. Die Begründung: Die Schule liegt zwar an der Borsteler Chaussee, der Eingang der Schule sei jedoch im Brödermannsweg.

Wie flexibel die Argumentation der Verkehrsbehörde ist, belegt die Begründung, warum an der Modernen Schule Hamburg keine Tempo-30-Strecke eingerichtet wurde: Dort ist zwar der Eingang an der Borsteler Chaussee, die Adresse sei aber Brödermannsweg. Also immer so, wie es passt. Aber passt es auch für uns?

Nein. Es passt nicht. Die Frage der Ampelphasen für Fußgänger wurde ebenfalls abschlägig beschieden. Begründung: Der Verkehr muss fließen, die Borsteler Chaussee gehöre „zum Hauptverkehrsstraßennetz der Freien und Hansestadt Hamburg. Während des morgendlichen/nachmittäglichen Berufsverkehrs treffen rund 850 Kfz/h stadteinwärts/stadtauswärts in den Zufahrten der Borsteler Chaussee ein. Zusätzlich fahren hier mehrere Buslinien.“ Zur Abwicklung brauche es „leistungsfähige Signalprogramme“. Und die sind – so die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) – „optimal gewählt“, sodass Staus und Emissionen des Bus- und Kfz-Verkehrs „weitgehend vermieden werden“. Groß Borstel hat andere Erfahrungen.

Und wie sieht es mit der Länge der Ampelphase für „Zu Fuß Gehende“ an der Kreuzung Köppenstraße, Brödermannsweg und Borsteler Chaussee aus? „Eine Verkürzung der Wartezeiten ist aus verkehrlicher Sicht nicht möglich.“, meint die BVM. Wobei mit „verkehrlich“ nicht Fußgängerverkehr gemeint ist. Es geht der Behörde ausschließlich um den Kfz-Verkehr.

Liebe Behörde für Verkehr und Mobilitätswende, wo bitteschön ist hier die Mobilitätswende? Haben Sie die vergessen? Wir leben in Zeiten des Klimawandels. Wir wollen auf fossile Energien verzichten, umsteigen auf alternative Verkehrsmittel, aufs Fahrrad oder den ÖPNV. Aber die Freiheit, mit dem Auto durch Groß Borstel zu heizen, die darf Ihrer Ansicht nach keinesfalls begrenzt werden?

Haben Sie sich einmal überlegt, warum niemand mit dem Fahrrad auf der Fahrbahn der Borsteler Chaussee fährt? Haben Sie einmal einen Blick auf die höchstens archäologisch interessanten Radwege geworfen? Oder haben Sie gar keine Radwege gefunden?

Haben Sie jemals die Anzahl der Schüler gezählt, die morgens und nachmittags die Straße queren wollen? Die es häufig in Begleitung der Eltern oder Großeltern tun müssen, weil es für junge Schüler und Vorschüler zu gefährlich ist. In den Stunden, in denen sie morgens zur Schule kommen und nachmittags die Schule verlassen, sind sie zahlenmäßig den 850 Autos in der Staustunde an der Borsteler Chaussee möglicherweise sogar überlegen. Nur hat der Schüler – zu Fuß oder auf dem Fahrrad – deutlich weniger Freiheit, die Straße zu queren. Und weniger Sicherheit als die Blechlawine, der Vorfahrt gewährt wird. Die hat 60 bis 90 Sekunden pro Ampelphase, die Fußgänger nur 10.

Eine derartig rückwärtsgewandte Verkehrspolitik prüft natürlich nicht, was eine Umleitung des Verkehrs über das Nedderfeld an Entlastung für die Borsteler Chaussee bringen könnte. Dass das Nedderfeld die Entlastung schon seit Jahrzehnten bringen sollte, haben wir dem ehemaligen Verteidigungsminister Hans Apel (lange Vorsitzender der SPD Hamburg-Nord, verstorben 2011) zu verdanken. Der hat sich für eine leistungsfähige Kreuzungsanlage an der Kollaustraße zum Nedderfeld eingesetzt, „damit die Borsteler Chaussee entlastet wird“. Heute wäre seine Antwort zur BVM: „Ich glaub‘, mich tritt ein Pferd.“