Solmitz – das Schicksal einer jüdischen Familie aus Groß Borstel

Betritt man den Gemeindesaal von St. Peter in Groß Borstel, fallen einem sofort die farbigen Fenster ins Auge. Der kleine Saal – ein Högerbau aus dem Jahre 1932 – war, wie eine Zeitung damals schrieb, die kleinste Kirche Hamburgs. Der damalige Ortspastor Martin Hennig hatte 1936 vorgeschlagen, die Fenster bunt zu verglasen, um dem Raum den „saalartigen Charakter“ zu nehmen, und seiner Gemeinde die Predigtstätte „lieb zu machen“.

Kirche St. Peter, Groß Borstel,Fenster im Gemeindehaus,Schroeder-Solmitz
hofmarke_schroeder_solmitz.jpg

Man entschied sich, neben biblischen Darstellungen auch Hausmarken oder Wappen von Familien alter Borsteler Höfe in die Fenster zu setzen. Die zu verschiedenen Zeiten entstandenen Darstellungen sind so vielfältig, dass die Einzelbilder hinter dem Gesamteindruck der Fenster zurücktreten. So übersieht man leicht die Hausmarke Schröder/Solmitz: Ein weisses “H” auf rotem Grund, den Hamburger Farben.

Eine – wohl in Vergessenheit geratene – Notiz von Pastor Martin Hennig macht jedoch deutlich, dass es sich bei dieser Hausmarke um etwas Besonderes handelt: Hinter dem Namen Solmitz verbirgt sich eine jüdische Familie aus Groß Borstel. Pastor Hennig hat Mut bewiesen, dass er im Dritten Reich den Namen Solmitz in das Fenster aufnahm. Er tat dieses, ohne jemanden zu fragen, um die Erinnerung an die geachtete jüdische Familie, die hier auch für andere stand, zu bewahren. Dazu Hennig: „Schreiben konnte ich darüber nichts, als das Fenster übernommen wurde, sondern nur an das einstige Bauerndorf erinnern. Es waren böse Zeiten“.
Wer war nun diese Familie Solmitz? Ernst Louis Solmitz (1855-1931) aus Braunschweig war Bankier und hatte sein Bankhaus Solmitz & Co. im Raboisen 103 – das Gebäude wurde übrigens im II. Weltkrieg zerstört. 1895 erwarb er als Sommersitz die Schrödersche Halbhufe, die damals an der Borsteler Chaussee 294 lag (Die Masch, Klosterbuch S.565). Der Ausschnitt der Karte von 1927 zeigt die Lage des Grundstücks:

Ausschnitt Karte1927Die senkrechte Straße ist die Borsteler Chaussee. Der südwestliche Arm der Weggabelung ist der heutige Verlauf der Papenreye . Am nordwestlichen Arm lagen die beiden Reetdachhäuser.

Ernst Louis hatte mit seiner Ehefrau Hedwig Rosalie, geb. Traube, eine Tochter und zwei Söhne. Relevant für unsere Darstellung ist hier vor allem Robert Moritz Solmitz, der 1894 erstgeborene Sohn. 1928 war er von Eppendorf nach Groß Borstel in den Holunderweg gezogen,  gemeinsam mit seiner Frau Hertha, geb. Goldschmidt. Sie ist die Nichte des berühmten Kunsthistorikers Adolph Goldschmidt. Der Ehe entstammen drei Kinder: Ursula wurde 1927 geboren, Martin 1930 und Ruth 1932.  Robert Solmitz war Rechtsanwalt in einer Partnerschaft, die ihr Büro 1925 in dem Gebäude des Bankhauses seines Vaters, im Raboisen 103, hatte. Er war im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden und hatte das Eiserne Kreuz verliehen bekommen.

familiesolmitz

Nach dem Tode des Vaters 1931  übernahmen Robert und seine Geschwister den Sommersitz in der Masch. Seine Frau Hertha, eine ausgebildete Gärtnerin, hatte schon zu Lebzeiten des Schwiegervaters einen großen Garten angelegt und mit zahlreichen Obstbäumen, Gemüse, Beeren und Schnittblumen ausgestattet. Daneben gaben weitläufige gepflegte Rasenflächen den Blick frei in die Landschaft bis nach Niendorf. Man liebte es, dort Gesellschaften für die Familie und Freunde zu veranstalten und fröhliche Feste für die Kinder zu feiern. “Wenn es zu der Zeit nicht Hitler gegeben hätte, könnte man sagen, wir wären in einem kleinen Paradies aufgewachsen”, erinnert sich die heute 81jährige Tochter Ursula, die in Kalifornien lebt.

reetdachhausDieses Reetdach-
haus nutzte die Familie, wenn es
sie in die
Masch zog.
Foto:
um 1935
 Garten der Familie Robert und Hertha Solmit in der Masch, um 1935Diesen Garten legte die ausgebildete
Gärtnerin
Hertha Solmitz
an.
Foto: um 1935

Mit dem Anbrechen der dunklen Zeiten 1933 änderte sich die Situation der jüdischen Mitbürger zum Schlimmen und damit auch für die Familie Solmitz. Es begann mit staatlich gedeckten Einschüchterungsversuchen gegen die Juden schon im März 1933, einen Monat später die von der Partei angezettelten Boykotte von Geschäften, Ärzten und Rechtsanwälten. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums lief u.a. auf die Ausschaltung von Beamten und öffentlichen Angestellten hinaus, „die nicht arischer Abstammung sind“. Im Verordnungswege ging dieser Prozess der Berufsverbote und beruflichen Einschränkungen weiter. Davon waren auch viele der freien akademischen Berufe betroffen, zuletzt 1938 die Ärzte und Rechtsanwälte. Die Bewegungsfreiheit der Juden wurde zudem dadurch weiter eingeschränkt, dass Himmler Ende 1938 deren Führerscheine einzog und damit das Auto nicht mehr nutzbar war. Juden waren dann auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.

 ehepaar_solmitz_im_gartenNoch kann
man die Ruhe
in Groß Borstel
genießen:
Hertha und Robert
Solmitz im
Garten, hinter
ihnen das Reet-
dachhaus,
Foto: 1937
Treffen an der EicheDie Herren
der Familie im
tiefen Gespräch.
Davor die drei
Solmitz-Kinder
Ursula (stehend), Martin
und Ruth.
Foto: um 1935

Die Familie Solmitz hatte natürlich auch die für Juden immer schlechter werdende Situation zu spüren bekommen. So berichtete Pastor Hennig als Zeitzeuge, dass Robert Solmitz in der Straßenbahn nicht mehr sitzen durfte, sondern auf dem Perron stehen musste, weil er Jude war. Am bittersten traf es die Familie, als Mitte November 1938 den Kindern verboten wurde, eine “arische” Schule zu besuchen, das hieß für die beiden jüngeren Geschwister die Schule am Brödermannsweg. Angesichts dieser ständig bedrohlicher werdenden Entwicklung gelang es den Eltern nach vielen Anstrengungen, ihre drei Kinder mit einem Kindertransport zu Verwandten nach England zu schicken. Am 14. Dezember 1938 standen Ursula (11), Martin (8) und Ruth (6) am Bahnhof in Altona. “Es war rührend zu sehen, wie die drei Kinder mit ihren blauen Mänteln, blauen Mützen und Rucksäcken am Bahnhof in der Menge der vielen abreisenden Kinder standen. Alle drei hielten sich fest an den Händen – einer unbekannten Zukunft im Ausland entgegensehend”, schrieb Mutter Hertha ins Tagebuch ihrer Kinder.
Auch Robert musste seine anwaltliche Praxis aufgeben. Allerdings war er im Oktober 1938 von Max und Fritz Warburg, deren Bankhaus im Mai desselben Jahres „arisiert“ worden war, mit der Verwaltung des von ihnen gegründeten Sekretariats betraut worden. Dieses hatte zwei Aufgaben:
1. Verwaltung der gesperrten Reichsmarkbeträge der Warburgs, die nicht in der Firma verblieben waren und
2. Gewährung von Hilfen an bedürftige Emigranten durch Rat und Geld.
Solmitz übernahm zudem die Aufgaben der Warburg Brüder in jüdischen Wohltätigkeitseinrichtungen. Um diese karitativen Aufgaben besser ausführen zu können, wurde er in den Vorstand der hamburgischen Jüdischen Gemeinde, in den Vorstand des Jüdischen Krankenhauses und in die Reichsvereinigung der Juden in Berlin delegiert.
Solmitz und seine Frau wohnten im Gebäude des Sekretariats im Mittelweg 17. Mit gutem Grund nannten die Hamburger Juden dieses Gebäude eine Oase „denn es bot ihnen in ihrer gefährlichen und schwierigen Lage Hilfe und Erleichterung“.  Die dortige Bibliothek wurde immer mehr zum Treffpunkt für Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Mit vielen Sitzplätzen und Tischen ausgestattet, fanden dort zahlreiche Konzerte und Vorträge statt – meistens nachmittags, weil Juden nach 20.00 Uhr nicht ausgehen durften.
Nach Beendigung seiner Aufgabe im Sekretariat der Warburgs 1941 gelang es Hertha und Robert über das besetzte Frankreich via Spanien von Portugal nach Amerika auszuwandern. 1944 folgten ihnen die beiden Töchter Ursula und Ruth aus England – jedoch ohne ihren Bruder Martin. Er konnte die jahrelange Trennung von den Eltern psychisch nicht ertragen und hatte sich 1943 das Leben genommen.9 Dieser Verlust lastete schwer auf der Familie – auch wenn das neue Leben in Amerika weitergehen musste.
Henry Krägenau
Traute Matthes-Walk