ALFRED WEGENER HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Groß Borstel eine Art Mekka für Forscher der jungen Wissenschaft der Meteorologie. Wladimir Köppen hatte auf einem Feld in der Nähe des Licentiatenberges eine Drachenstation gebaut, die Vorbild für einige andere Stationen wurde. In seinem Haus in der Violastraße 7, heute Köppenstraße, empfing er viele Wissenschaftler aus dem In- und Ausland. Einer dieser Forscher war Alfred Wegener. Er wurde nicht nur ein enger Freund von Wladimir Köppen, sondern auch sein Schwiegersohn, und er lebte einige Zeit in Köppens Haus in Groß Borstel.

Alfred Wegener stammte aus Berlin, am 1.November 1880 dort als Sohn eines Gymnasiallehrers geboren. Nach dem Abitur studierte er in Berlin, Heidelberg und Innsbruck Physik, Meteorologie und Astronomie, promovierte 1905 in Bern in Astronomie, wandte sich dann aber der Meteorologie zu.

1905 nahm er zusammen mit seinem Bruder Kurt eine Stellung am Aeronautischen Observatorium Lindenberg (in der Nähe von Frankfurt/O) an. In Lindenberg wurden Wetterdrachen sowie bemannte und unbemannte Ballons zur Erforschung höherer Luftschichten eingesetzt. Wegener absolvierte eine Ausbildung als Ballonfahrer und stellte schon bei seinem dritten Ballonflug im Frühjahr 1906 zusammen mit seinem Bruder Kurt einen neuen Dauerrekord auf. Die Brüder flogen von Berlin nach Jütland und zurück bis Augsburg. Dabei waren sie 52 Stunden und 22 Minuten unterwegs und legten 520 Kilometer zurück. Die meiste Zeit bewegten sie sich auf einer Höhe von etwa 3700 Metern und froren bei minus 16 Grad erbärmlich, da sie nicht gut ausgerüstet waren.

Auch bei seiner anderen Leidenschaft konnte Wegener nicht mit höheren Temperaturen rechnen. Sie galt der Polarforschung. Als Wegener von den Plänen des dänischen Polarforschers und Schriftstellers Ludvig Mylius-Erichsen erfuhr, eine Grönlandexpedition zu unternehmen, schloss er sich an.

Wegener wollte als erster Forscher über Grönland Wetterballons und Drachen aufsteigen lassen und meteorologische Daten sammeln.

Da er keine eigenen Instrumente besaß, nahm er Anfang 1906 erstmals mit Köppen in Hamburg Kontakt auf und bat ihn, ihm einige seiner Messinstrumente zu leihen.

Im August konnte man in Grönland hemdsärmelig arbeiten. Hier wurde aus in Dänemark vorgefertigten Teilen ein Winterlager aufgebaut.

Im Juni 1906 brachen 27 Expeditionsteilnehmer, darunter Alfred Wegener, mit dem Schiff „Danmark“ von Kopenhagen zur Nordostküste von Grönland auf und landeten am 15. August in der Dove-Bucht. Aus vorgefertigten Teilen wurden ein Winterlager und eine meteorologische Station gebaut.

Am 22. November erreichten Wegener und zwei Begleiter auf einer Expedition den sogenannten Germaniahafen auf der Sabine-Insel. Hier hatte die von Kapitän Koldewey geleitete Zweite Deutsche Nordpolarexpedition 1869/1870 überwintert und ein Observatorium gebaut, das inzwischen aber verfallen war. Nach Carl Koldewey ist die Koldeweystraße in Groß Borstel benannt.

Wegener sammelte mit seinen Drachen und Wetterballons zahlreiche Messdaten, beteiligte sich aber auch am eigentlichen Ziel der Expedition, diesen Teil Grönlands kartographisch zu erfassen. Zu diesem Zweck bildeten die Forscher mehrere Gruppen und brachen im März 1907 mit ihren Hundeschlitten in verschiedene Richtungen auf. Die Expedition stand jedoch unter keinem guten Stern.

Wegener stieß mit seinem Partner weit nach Norden vor und erreichte, wenn auch unter schwierigen Bedingungen und großen Entbehrungen, Ende Mai 1907 wieder das Basislager. Expeditionsleiter Ludvig Mylius-Erichsen kam jedoch mit mehreren Begleitern von seiner Fahrt nicht zurück. Später wurden die Forscher tot aufgefunden. Im Sommer 1908 kehrte der Rest der Expedition aus Grönland zurück. Die tragischen Ereignisse um den Tod mehrerer Forscher bei dieser Expedition konnten den tiefen Eindruck nicht überdecken, den Grönland mit seiner grenzenlosen Weite und seiner Stille auf Wegener gemacht hatte.

Wegener habilitierte an der Universität in Marburg und wurde dort 1909 Privatdozent. Einer seiner Schüler in Marburg war Johannes Georgi, nach dem in Groß Borstel der Georgiweg benannt ist. Mit Georgi, der später ebenfalls in Groß Borstel lebte, sollte Wegeners Schicksal auf tragische Weise verbunden werden.

Eine Drachenstation im grönländischen Inland. In der Hütte an der exponierten Lage war die Winde für die Drachen untergebracht. Die Unterkunft der Forscher lag abseits davon, zur Isolation unter Schnee begraben, in einer Senke.
Auf diese Schriften gründete der wissenschaftliche Ruhm Wegeners

Die größte Bekanntheit in der Wissenschaft hat Alfred Wegener heute durch seine Theorie der Kontinentaldrift. Die Kongruenz der Küstenlinien von Afrika und Südamerika war auch schon früheren Gelehrten aufgefallen. Wegener sammelte aber als Erster zahlreiche Indizien für die Richtigkeit dieser Theorie, darunter Belege aus der Klimageschichte der Erde. Wegener nahm einen Urkontinent aller Erdteile an und nannte diesen Pangäa (griechisch: alles Land). Seine Zeitgenossen lehnten Wegener Theorie jedoch ab, auch weil er keine schlüssige Ursache für das Auseinanderdriften der Kontinente fand.

Erst als in den 1960er Jahren die Plattentektonik entdeckt wurde, erkannte man die Richtigkeit von Wegeners Theorie. Sein Buch von 1915 „Die Entstehung der Kontinente und Ozeane“ gilt heute als Klassiker der Wissenschaftsgeschichte. Auch bei anderen Forschungen war Wegener seiner Zeit weit voraus. So erklärte er als Erster die Krater auf dem Mond und auf der Erde durch die Einschläge von Meteoriten.

Noch vor seiner Hochzeit mit Else Köppen schloss sich Wegener 1912 einer weiteren dänischen Grönlandfahrt an. Dabei gelang ihm zusammen mit drei anderen Forschern eine vollständige Durchquerung des Inlandeises auf Hundeschlitten, von der Ostküste bis zur Westküste. Die Gruppe überlebte aber nur mit Glück, denn im letzten Teil der Fahrt gingen ihr die Nahrungsmittel aus.

Nach der Rückkehr 1913 heirateten Alfred Wegener und Else Köppen und feierten ihre Hochzeit in der Violastraße. Wegener blieb mit seiner Frau einige Zeit bei seinem Schwiegervater, ging dann aber zurück nach Marburg.

Im Ersten Weltkrieg diente Wegener nach zwei Verwundungen an der Front im Heereswetterdienst. Nach Ende des Krieges übernahm er 1919 die Stelle seines Schwiegervaters an der Deutschen Seewarte und lebte nun wieder in Groß Borstel.

Der Ort Uummannaq an der Westküste Grönlands mit dem Herzberg.

Wegener bemühte sich um einen Ausbau der Drachenstation in Groß Borstel zu einer größeren Forschungsstation, doch in den Inflationsjahren scheiterte dies an der Finanzierung. Er hielt sich aber häufig in der Station auf und versuchte, die Messmethoden zu verbessern. 1921 erhielt Wegener eine Professur an der noch jungen Hamburger Universität.

1924 folgte er schließlich einem Ruf an die Universität nach Graz. Sein Schwiegervater und Freund Wladimir Köppen ging mit ihm und verließ ebenfalls Hamburg und Groß Borstel.

In Graz nahm Wegener den lang gehegten Plan einer weiteren Grönlandexpedition wieder auf, diesmal unter seiner eigenen Leitung und an die Westküste Grönlands. Zu den Mitgliedern der Expedition gehörten unter anderem Wegeners früherer Schüler Johannes Georgi, Fritz Loewe aus Berlin und der Studienrat Dr. Ernst Sorge, alles in allem zwanzig Mann.

Nach einer Vorexpedition im Sommer 1929 startete am 1. April 1930 die Hauptexpedition. 400 km von der Küste und der Basisstation entfernt errichteten die Forscher mit der Hilfe einiger Grönländer eine kleine Beobachtungsstation, „Eismitte“, nicht größer als ein Iglu für drei Mann. Georgi und Sorge sollten dort überwintern. Da ihnen noch Petroleum für die Überwinterung fehlte, unternahm Wegener mit einigen Begleitern am 22. September, bei starkem Schneefall und minus 52 Grad, noch einmal eine Versorgungsfahrt mit dem Hundeschlitten. Am 1. November brachen Alfred Wegener und der Grönländer Rasmus Villumsen zur Rückfahrt auf, kamen aber nie an der Basisstation an. Alfred Wegener wurde im Mai 1931 tot im Eis aufgefunden, gestorben infolge von Erschöpfung.

Das letzte Foto von R. Villumsen und A. Wegener

André Schulz