Zuviel Fluglärm durch Regelverletzungen?

Der Betrieb des Hamburger Flughafens ist mit Betriebszeiten von 6 bis 23 Uhr zuletzt im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens 1998 genehmigt worden. In diesem Verfahren sind zum Schutz der Bevölkerung in den dicht besiedelten Wohngebieten Bahnbenutzungsregeln aufgestellt worden. Sie sind wesentlicher Bestandteil der Betriebsgenehmigung. Danach galt folgende Regelung:

Starts sollen Richtung Norden (Ohmoor/Quickborn) erfolgen,

Die Richtung Alsterdorf/Innenstadt/Hamm soll nicht benutzt werden,

Zwischen 22 und 7 Uhr sollen auch Landungen aus Richtung Norden erfolgen.

Ausnahmen sind: Bau- und Wartungsarbeiten an den Landebahnen, Wetterverhältnisse, Luftverkehrssicherheit.

Allerdings ist die Regel im Rahmen eines Plangenehmigungsverfahrens zur Vorfelderweiterung und zum Bau weiterer Gates deutlich verwässert worden. Seit 2009 kann von den Regeln bei Vorliegen außergewöhnlicher Verkehrslagen, mittlerweile also fast täglich, abgewichen werden. Diese Regelaufweichung stellt einen erheblichen Eingriff in die Belange der Öffentlichkeit dar. Die Öffentlichkeit hätte also zwingend –
wie es das Baugesetzbuch vorschreibt – beteiligt werden müssen. Ist sie aber nicht.

Die Plangenehmigung ist vom Bezirksamtsleiter Hamburg Nord, Harald Rösler, unterschrieben worden. Als Aufsichtsratsmitglied der Flughafen Hamburg GmbH ist Rösler pikanterweise gleichzeitig Vertreter des Antragstellers und Vertreter der Genehmigungsbehörde. Zudem ist er Vorsitzender der Fluglärmschutzkommission, erkennt aber in dieser Dreifachfunktion keinerlei Interessengegensatz.

Verspätungssanktionen?

Ähnlich merkwürdig ist die Verspätungsregelung bei Starts und Landungen außerhalb der Betriebszeit. Von 23 bis 24 Uhr gelten die Start- und Landegenehmigungen automatisch als erteilt. Die Fluggesellschaft stellt den Antrag und genehmigt ihn sich selbst? Genauso. Nach 24 Uhr muss, besser gesagt: sollte die Fluglärmschutzbeauftragte, Dr. Grudrun Pieroh-Joussen, um Genehmigung gefragt werden. Dennoch kommt es viel zu häufig vor, dass auch zwischen 0 und 6 Uhr gestartet und gelandet wird – notfalls auch ohne Genehmigung. Klarer Rechtsbruch, allerdings ohne Rechtsfolgen. So wundert es nicht, dass es in den Monaten Juli bis September an nur zwei Abenden keinen Nachtflug gab. Dafür unzählige Regelverstöße in den übrigen 90 Nächten (BAW Hamburg und Schleswig-Holstein).

Als meist genannter Grund für die Verspätungen werden gegenüber der Fluglärmschutzbeauftragten und den Initiativen Umlaufschwierigkeiten vorgebracht. Früher sagte man, die Windrichtung sei schuld. Nachdem die Initiativen das überprüften, wurden immer die Höhenwinde als Grund für regelverletzende Starts und Landungen genannt. Das war schwerer zu überprüfen.

Heute sagt man einfach Umlaufschwierigkeiten. Umlaufschwierigkeiten entstehen zum Beispiel, wenn ein Flieger von Hamburg nach Nürnberg, von dort nach Palma und schließlich von Palma nach Hamburg fliegt und wenn während des Fluges oder bei den kurzen Zwischenstopps irgendeine Verspätung entsteht. Beispielsweise, wenn ein Fluggast den Flug nicht angetreten hat und nun umständlich im Laderaum nach seinem Gepäck gesucht werden muss.

Verspätungen, also Landungen zwischen 23 und 6 Uhr, sind eigentlich nur erlaubt, wenn die Verspätung nachweislich unvermeidbar ist. Mit der Nachweisführung nehmen es die Fluggesellschaften jedoch nicht so genau. Oft muss die Fluglärmschutzbeauftragte mehrfach 

nachfragen – viele Gesellschaften antworten einfach nicht. Monate später lässt sich der konkrete Verspätungsgrund kaum noch rekonstruieren.

Argumentationskeule Arbeitsplätze

Bei der 6. Sitzung der Allianz für Fluglärmschutz erläuterte die Fluggesellschaft Condor –
ehemals die Touristiktochter der Lufthansa – warum solche Umlaufschwierigkeiten entstehen: Der Puffer zwischen Landungen und Starts beträgt oft nur 10 bis 20 Minuten. Alles andere ist heutzutage, so Condor, „nicht mehr konkurrenzfähig“. Das mag sein, ist aber keinesfalls nachweislich unvermeidbar.

Die Argumentationskeule Arbeitsplätze wird in den Gesprächen mit Fluglärmverantwortlichen immer sofort gezogen. Condor: Würden Verspätungen nicht mehr erlaubt werden, dann erginge es der Fluggesellschaft Condor genau wie Air Berlin. Dann könnten viele Flüge nicht mehr rentabel abgewickelt werden, sprich Condor würde Verluste einfahren, Arbeitsplätze müssten

gestrichen werden. Insolvenz droht. Das Lied von den gefährdeten Arbeitsplätzen wird prompt von den Politikern der Regierungsfraktionen mitgesungen. Ebenso gebetsmühlenartig wird behauptet, die Flugzeuge würden immer leiser werden, was die Entwicklung der durchschnittlichen Lärmklassen am Hamburger Flughafen seit vielen Jahren widerlegt. Die Lärmmenge hat seit 2013 über den Tag gesehen um 22 Prozent, in der Nacht – also nach 22 Uhr – sogar um 42 Prozent zugenommen.

Wie konnte es dazu kommen, dass den Wirtschaftsinteressen so eindeutig der Vorrang gegenüber den Gesundheitsinteressen der Bevölkerung gegeben wurde?

Problem Billigflieger

Der Hamburger Flughafen sollte eigentlich reiner Geschäftsflughafen sein. Tourismusflüge sollten von Hannover abgewickelt werden. So eilig hat man es im Urlaub ja nicht, dass dafür hunderttausende Hamburger geweckt werden müssen. So sah man es 1983, als Klaus von Dohnanyi und Dr. Dr. Uwe Barschel gemeinsam Kaltenkirchen endgültig auf Eis gelegt hatten.

1983, das war im Gegensatz zu heute noch reine Idylle. 80.000 Flugbewegungen statt 160.000. Die Geschäftsfliegerei konnte irgendwann jedoch keine weiteren Steigerungen mehr erzielen. Der Betriebschef des Hamburger Flughafens, Johannes Scharnberg, sieht das Erfordernis des ständigen Flughafenwachstums in den permanenten Kostensteigerungen begründet. Das Mindestlohngesetz muss bei den Bodenverkehrsdiensten (Gepäck: HAM Ground Handling und Wisag) tatsächlich ein Schlag ins Kontor gewesen sein.

Gepäckarbeiter werden in Hamburg allerdings immer noch deutlich schlechter bezahlt als an anderen deutschen Flughäfen (Quelle: Verdi), gerade mal 50 Cent über Mindestlohn. 9 Euro pro Stunde für Schwerstarbeit: Im Sitzen oder Knien werden täglich mehrere Tonnen Gepäck in die niedrigen Laderäume gewuchtet (bis 30 Tonnen pro Person und Schicht. Siehe Zeit Hamburg 12.10.2017).

Billigflieger bestimmen heute das Ertragsmodell Flughafen, und die drücken die Kosten, wo es nur geht. Sie sind zudem für die meisten Verspätungen verantwortlich: Rekordhalter ist
Easyjet mit 28 Prozent aller Verspätungen, gleich gefolgt von Lufthansas Billigflieger
Eurowings (20 %). Nimmt man die gesamte Lufthansagruppe (Lufthansa 8 %, Easyjet 20 % und Germanwings 8 %), dann läuft sie Easyjet sogar noch den Rang ab: 36 Prozent! (Quelle: BAW Hamburg und Schleswig-Holstein)

Kosten drücken, das heißt gleichzeitig: Gewinn erhöhen für den Hamburger Flughafen. Der muss auch produziert werden, und zwar dringend, denn der Flughafen gehört der Stadt nur zu 51 Prozent. Die andere Hälfte gehört Banken und einem Kanadischen Investitionsfond. Die müssen Gewinne einfahren und können sich einen Rückgang der Flugbewegungen nicht leisten. Absurd: Auch die Gebühren für verspätete Flüge werden vom Flughafen als Reingewinn kassiert.

Regelverletzung als Geschäftsmodell

Längst hat die reine Menge der Starts und Landungen ein Ausmaß erreicht, bei dem die Regeln zum Schutz der Bevölkerung gar nicht mehr eingehalten werden können. Die Norderstedter Start- und Landebahn schafft maximal 31 Starts pro Stunde, im gegenläufigen Verkehr zwischen 10 und 15. Pro Stunde braucht der Flughafen allerdings bis zu 47 Starts und Landungen, um die Menge der an die Fluggesellschaften verkauften Start- und Landegenehmigungen abwickeln zu können. Pausenlos wird deshalb über alle anderen Landebahnen gestartet und gelandet. Mit einer Ausnahme: Die Richtung Alsterdorf/Innenstadt wird weitgehend verschont (Starts und Landungen jährlich nur 2 – 3 Prozent). Müsste man bei den anderen Flugrichtungen die Regel einhalten, also über Langenhorn, Norderstedt, Niendorf, dann müssten die Flüge auf die größtenteils defizitären Nachbarflughäfen verteilt werden. Dort würde man sich freuen. Hier auch.

Keine schlechte Idee: Das Norddeutsche Luftverkehrskonzept sieht genau diese Verteilung auf die Nachbarflughäfen vor. Es ist nicht etwa von Fluglärmgegnern (BILD-Jargon: Fluglärmnörglern) ersonnen worden, sondern von den Flughafenchefs selbst. Und nicht irgendwann vor Jahrzehnten, sondern 2013. Das Konzept sieht vor, zum Schutz der Hamburger Bevölkerung, insbesondere in den Tagrandzeiten und bei Verspätungen in der Nacht, die Flughäfen Hannover (24-Stunden-Betrieb), Bremen, Lübeck, Rostock-Laage, Parchim (24-Stunden-Betrieb) zu nutzen. Alles Flughäfen, die nicht in dicht besiedelten Gebieten liegen. Das wiederum passt überhaupt nicht ins Businessmodell der Billigfliegerei. Flugziele unter 50 Euro (Glasgow 39 Euro, Palma 50 Euro, Mailand 30 Euro,Stockholm 34 Euro, Venedig 39 Euro – Quelle: skyscanner.de) lassen sich nicht mehr verkaufen, wenn die Fahrt zum Flughafen teurer wird und länger dauert, als der Flug selbst. Zwar müsste sich die Bahn durch schnelle Direktverbindungen als komfortabler und umweltfreundlicher Zubringer positionieren können. Die Bahn kann sich den notwendigen Ausbau jedoch nicht leisten. Grund: Starker Konkurrenzdruck auf Kurzstrecken durch subventionierte Billigflieger.

Bürger-Initiativen wehren sich

Ein Lichtblick: Neuerdings lassen es sich die Anwohner nicht mehr gefallen, dass die Regeln zum Schutz der Bevölkerung missachtet werden. Kürzlich hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Hamburg (BUND) eine Volkspetition mit 15.000 Unterschriften der Hamburger Bürgerschaft überreicht, um zumindest die gesetzliche Nachtruhe in Hamburg wieder herzustellen (Absolutes Lärmverbot werktags 22 bis 6 Uhr, am Wochenende bis 8 Uhr). Die BIG Fluglärm, Dachverband der Bürgerinitiativen gegen Fluglärm, sammelt Spenden zur Beteiligung an einer Klage gegen die missbräuchliche Auslegung der Bahnbenutzungsregeln. Und die Beschwerden bei der Fluglärmschutzbeauftragten nehmen exorbitant zu. 2.858 Beschwerden in 2013, aber 86.120 Beschwerden 2016! So wichtig, wie jede Beschwerde an fluglaerm@bue.hamburg.de oder Tel. 040/42840-2548 ist, letztlich hilft nur politischer und juristischer Druck auf den Flughafen.

Uwe Schröder