WOHLFEILE WELT

von Sebastian Schnoy

Liebe Leute, ein ganz frischer Text aus meiner Feder und ein Verrat an einer Freundin, die das hoffentlich nicht liest:

Gudrun aus Ottensen, deren Namen ich ändern musste (sonst bekomme ich Ärger), lebt in ihrer Wohnung nur noch mit 80 Dingen. Sie ist gegen den Konsumterror und hat ihr Leben radikal auf das Wesentliche reduziert, auf wenige Möbel, einen Futon, Kleidungsstücke, die sie ganz bewusst auswählt.

Sie erzählt mir das in einem hübschen Bio-Café bei Zwiebelkuchen und Rhabarberschorle, und ich bin froh, dass den Anbau und die Ernte von Zwiebeln und Rhabarber andere übernommen haben. Auch all die Backformen, Rührgeräte, Töpfe – ganz zu schweigen von dem ganzen Tinnef, den man für die Saftproduktion braucht, müllen zum Glück nicht ihre Küche voll. So kann sie sich ganz auf das Wesentliche konzentrieren. Achtsamkeit, auch sich selbst gegenüber. Zum Glück hat sie keine Kinder. In dieser Welt? Unverantwortbar. Ich denke, dass schon eine Kiste mit Legosteinen die 80 ins Wanken bringt. Sie spricht vom Krieg in Syrien und dass niemand darüber nachdenkt wie schlimm das für das Klima ist, all die Bomben und Raketen und brennenden Häuser.

Ein Auto braucht sie auch nicht, sie geht zu Fuß zum Markt. So kann sie aktiv was fürs Klima tun, dank der Händler, die mit ihren SUVs tonnenschwere Kartoffel- und Apfelstände aus dem Alten Land dröhnend durch den Elbtunnel ziehen. Sie möchte gerne mal nach Tibet. Das Leben in der hektischen Großstadt entfremdet die Menschen von der Natur, sagt sie mir im Café, just als ein Rettungswagen mit Blaulicht und Sirene die anderen Autos ausein-ander scheucht. Es gibt bestimmt viele Ecken der Welt, denke ich, in denen die Menschen in so wunderbarer Abgeschiedenheit im Einklang mit der Natur leben, dass es selbst dann noch ruhig bleibt, wenn man dringend einen Rettungswagen benötigt. Die von der Pharmaindustrie gesteuerte Schulmedinzin sieht sie eh kritisch. Die Beduinen in der ägyptischen Wüste kennen heilende Märchen, die man sich vorliest, wenn man krank ist. Das ist uraltes Wissen. Als wir aufstehen stöhnt sie kurz. Das Knie, sagt sie, das wird kompliziert, vier Wochen Klinik, sechs Wochen Reha. Da sind die heilenden Märchen schon vergessen.

Guck mal, sagt Gudrun auf der Straße, Starbucks, der ist neu, ich könnte kotzen, so krass wie sich das Viertel verändert. Sie kam vor acht Jahren hier her. Ihr war in dem Moment nicht bewusst, dass SIE die Veränderung war. Wer ist damals aus der schönen Wohnung ausgezogen als Du kamst? möchte ich sie fragen. Damals war ihr alter Vater gestorben und sie musste seine Wohnung in Eimsbüttel verkaufen. Geld ist ihr nicht wichtig, sie mochte sich damit nicht beschäftigen und deshalb beauftragte sie einen Makler. Der hat wirklich einen tollen Preis erzielt, zwei junge Familien in eine Auktion gelockt. So konnte sie sich die Wohnung in Ottensen kaufen und dann auf Eigenbedarf klagen. Ey, sie brauchte wirklich dringend eine Wohnung. Vermieter sind solche Schweine, sagt sie mir, den Mietendeckel findet sie gut. Mit Wohnungen darf man keine Profite machen, Wohnen ist ein Menschenrecht. Sie ist froh, dass sie keinen Vermieter mehr hat. Die Wohnungspreise sind so durch die Decke gegangen, sagt sie und raunt mir zu: Meine hat sich mehr als verdoppelt. In acht Jahren. Es ist das erste Mal, dass sie lächelt. Wie doch Profit für ehrliche Freude sorgen kann. Irgendwann verkaufe ich sie, sagt Gudrun, und ziehe in den Tibet. Ich brauche nicht viel.

Gudruns Name ist geändert, eigentlich heißt sie Stefan, Claudia, Marten und Nicole.