Vögel in Gross Borstel
Der Gartenbaumläufer

Sein Gefieder tarnt ihn so gut, dass er an Baumstämmen mit zerfurchter Rinde nur in Bewegung zu entdecken ist: der Gartenbaumläufer (Certhia brachydactyla).

Dabei handelt es sich um eine Vogelart der Gattung der Eigentlichen Baumläufer (Certhia) in der Familie der Baumläufer (Certhiidae), zu der in Europa auch der in Deutschland etwas weniger häufige Waldbaumläufer gehört. Beide sind sich äußerlich so ähnlich, dass in der freien Natur nicht der etwas längere Schnabel und die etwas kürzere Hinterkralle des Gartenbaumläufers, sondern in der Balzzeit sein Ruf das sicherste Unterscheidungsmerkmal ist: So gibt der Gartenbaumläufer ein lautes „Tit Tit Tit“, der Waldbaumläufer hingegen ein leises „Srih Srih“ von sich.  Allerdings rufen oder singen die Vögel nach Beendigung der Balzzeit kaum noch.

Der Gartenbaumläufer wird bis zu 13 cm lang. Sein etwa 12 mm langer spitzer Schnabel ist deutlich nach unten gebogen. Die Körperunterseite präsentiert sich weiß, die Oberseite rindenartig gestrichelt. Sein Kopf zeigt einen weißen Überaugenstreif. Der relativ lange bräunliche Schwanz dient als Stütze und hilft das Gleichgewicht zu halten. Zu diesem Zweck sind die mittleren Schwanzfedern besonders kräftig ausgebildet. Um in der Mauser diese Stützfähigkeit zu erhalten, werden die Schwanzfedern nicht gleichzeitig, sondern nacheinander abgeworfen. Männchen und Weibchen unterscheiden sich äußerlich kaum voneinander; das Weibchen ist lediglich etwas größer und schwerer.

Der Gartenbaumläufer kommt in ganz West- und Mitteleuropa vor. Da seine Nahrungssuche überwiegend an den Stämmen älterer Bäume mit möglichst rissiger Rinde erfolgt, besiedelt der Vogel insbesondere geschlossene Wälder mit – anders als der Waldbaumläufer – überwiegendem Laubholzbestand. Aber auch in Grünanlagen und Gärten mit Altbaumbestand ist er zu finden und dementsprechend ein bis in unsere Innenstadt hinein weit verbreiteter Stammkletterer. In Hamburg wird sein Bestand auf knapp 3000 Brutpaare geschätzt. In Mitteleuropa ist der Gartenbaumläufer überwinternder Standvogel und zu dieser Zeit meist allein unterwegs – es sei denn, dass die Temperaturen sehr stark sinken, dann bilden eng aneinander gerückt sich gegenseitig wärmende Grüppchen. Der Bestand der Gartenbaumläufer in Deutschland gilt als nicht gefährdet.   

Mit dem Aussehen seines Gefieders ist der Baumläufer hervorragend an die Baumrinden angepasst und dadurch bei der Nahrungssuche gut getarnt. Sein überwiegend aus Insekten, Spinnen, Käfern und Larven bestehendes Futter sucht er vorzugsweise an Laubbäumen mit besonders tiefer und borkiger Rinde. Er beginnt am Fuß des Baumes und klettert mit Hilfe seiner spitzen, langen Krallen spiralförmig und ruckartig den Stamm empor, dabei die tiefen Furchen der Rinde immer wieder mit seinem gebogenen Pinzetten-artigen Schnabel nach Insekten absuchend. Hat er das Ende des Stammes erreicht, fliegt er wieder nach unten und beginnt seinen Weg nach oben erneut. Anders als der Kleiber läuft der Gartenbaumläufer in der Regel nicht kopfüber den Stamm hinunter.

Gartenbaumläufer haben ein bis zwei Jahresbruten in der Zeit von März bis Juli. In Mauerspalten,  Baumspalten und hinter große lose Rindenstücke bauen beide Elternteile ein Nest aus Reisig, Halmen sowie Moos. Dabei kleiden sie die Mulde mit Federn und Tierhaaren aus.

Das Weibchen legt fünf bis sieben spindelförmige mattweiße Eier, die rostrot bis rostbraun gesprenkelt sind. Die 13 bis 15 Tage dauernde Brutzeit bewältigt allein das Weibchen. Nach weiteren 14 bis 15 Tagen, in denen beide Elternteile an der Versorgung der Jungvögel beteiligt sind, verlassen die Jungen das Nest. Anschließend gehen sie mit den Eltern gemeinsam auf Nahrungssuche und werden von diesen noch einige Tage versorgt. Die Geschlechtsreife tritt nach einem Jahr ein. 

Regional wird der Gartenbaumläufer umgangssprachlich auch als Baumhacker, Rindenrutscher, Baumklette, Rindenkleber und Krummschnäbliger bezeichnet. Der Namensbestandteil „Certhia“ hat seinen Ursprung in dem antiken griechischen „Kerthios“ , einem Wort, das Aristoteles für einen nicht identifizierten kleinen insektenfressenden Vogel verwendete. Das Wort „Brachydactilus“ ist altgriechischen Ursprungs und bedeutet „kurzfingerig“. Es bezieht sich auf die im Vergleich zum Waldbaumläufer kürzere Hinterkralle des Gartenbaumläufers. „Certhia brachydactyla“ bezeichnet also einen „kurzfingerigen, nicht identifizierten kleinen insektenfressenden Vogel“. Da ist der Name „Gartenbaumläufer“ definitiv einprägsamer…

Text und Fotos: Michael Rudolph