Rennsport in Gross Borstel (I)

Im 18. Jahrhundert entstand in England die moderne Sportbewegung und erreichte durch die engen wirtschaftlichen Verbindungen bald auch Hamburg. Die Hansestadt war eine der ersten deutschen Städte mit Sportvereinen. 1816 wurden als älteste heute noch existierende Sportvereine die Hamburger Turnerschaft und 1830 der Hamburger Schachklub gegründet. Die Turnerschaft gilt sogar als ältester durchgängig existierender Sportverein der Welt. 1836 gründeten Kaufleute den Hamburger Ruderclub, der 1844 seine erste Regatta auf der Alster organisierte. Neben dem Rudersport war der Reitsport in Hamburg schon bald von großer Bedeutung. Die ersten Pferderennen wurden 1835 auf den Wandsbekern Feldern ausgetragen. 1852 formierte sich der Hamburg-Lokstedter Renn-Club, der im gleichen Jahre auf einem Feld in Lokstedt, also schon in der Nähe von Groß Borstel, sein erstes Rennen austrug. 1854/55 zog der Klub, der sich nun Hamburger Renn-Club nannte, nach Horn um und organisierte seine Pferderennen dort auf der neuen großen Galopprennbahn. Die Horner Rennbahn, auf der seit 1869 das „Derby“ durchgeführt wird, ist mit 50.000 Zuschauerplätzen die größte Rennbahn in Deutschland und das zweitgrößte Sportstadion in Hamburg nach dem Volksparkstadion. Bis zum Ersten Weltkrieg waren die Renntage wahre Volksfeste. 1880 hatte sich in Altona auch der Norddeutsche Renn- und Traber-Club gegründet und noch im gleichen Jahr die Trabrennbahn in Bahrenfeld bauen lassen.

Neben Wassersport und Rennsport waren aber auch Laufsport- und Leichtathletikwettbewerbe populär. Der ebenfalls 1880 gegründete Hamburger Sportclub führte zunächst mangels eigener Wettkampfstätten seine Wettbewerbe ab 1881 auf der Pferderennbahn in Horn und bis 1890 jeweils einmal im Frühjahr und im Sommer auf der Trabrennbahn in Bahrenfeld durch. Zu den vom Hamburger Sportclub gepflegten Sportarten gehörten Laufen, Springen, Fahrradfahren und Reitsport. Im August 1887 veranstaltete der Hamburger Sportclub Laufwettbewerbe über 100 m, 400 m, 1500 m, zum Teil als Hürdenlauf, zudem Tauziehen und Radfahren erstmals auf der Rennbahn des „Eisbahnvereins vor dem Dammthor“.

Zu den Mitgründern des Hamburger Sportclubs gehörten einige begeisterte „Sportsmen“ aus angesehenen Hamburger Familien und Industriedynastien, so wie der Kaufmann und Politiker Franz Ferdinand Eiffe, der Reeder Johannes Heinrich Amsinck, der Kaufmann Siegmund del Banco (1858-1938) und der Chemie-Unternehmer Gustav Beit (1854-1927). Besonders Beit, Amsinck und Del Banco waren große Reitsportfans. Gustav Beit besaß sogar einen eigenen Pferderennstall. Franz Ferdinand Eiffe war hingegen mehr den athletischen Sportarten zugetan und trat später aus dem Sport-Club aus.

Der Wunsch nach einer eigenen Wettkampfstätte führte schließlich 1891 zum Bau einer Rennbahn in Groß Borstel.  Die Initiative dazu ging vor allem von Gustav Beit aus. Die Rennbahn war nach verhältnismäßig kurzer Bauzeit fertiggestellt und wurde am 14. Juli 1891 der Presse vorgestellt. Diese war begeistert. In einem Artikel für das „Album des Deutschen Rennsports“ aus dem Jahr 1902 schwärmt der Autor des Beitrages noch vom Standort der neuen Rennbahn: „Auf einem Terrain, das in Hamburg populär ist, wie kein zweites, inmitten von Vergnügungslokalitäten und angelehnt an den prächtigen Nadelwald, in welchem der Gross-Borsteler Jäger seine viel besuchte Wirthschaft betreibt, erheben sich die geschmackvollen Bauten der neuen Rennbahn. Die Verbindung mit Hamburg geschieht durch verschiedene Pferdebahnen, die in der nächsten Nähe münden, während der Eintritt zum Rennplatz auf sauberen, gut erhaltenen Zugängen erfolgt. Außerdem wurde auf Kosten des Klubs noch eine breite und bequeme Strasse aufgeschüttet, die Fußgänger und Wagen unter Vermeidung von sonst nöthigen Umwegen direkt zum Ziele bringt.“

Bei der besagten Straße handelt es sich wohl um die heutige Sportallee (früher Sportstraße) und so erklärt sich ihr Name, auch wenn sie inzwischen nicht mehr zu einem Sportplatz, sondern zum Eingang der Lufthansa Werft führt. Tatsächlich war der Eingang zur Rennbahn 1891 genau dort angesiedelt, wo sich heute der Eingang zum Lufthansagelände befindet. Und auch der damalige Parkplatz für die Pferdedroschken der Besucher war auf der gleichen Fläche, auf der heute die Lufthansa Mitarbeiter ihre Fahrzeuge abstellen, links von der Zufahrt.

Die Anlage bestand aus den Rennbahnen und einer Reihe von Gebäuden, darunter vier Tribünen mit vier Türmen zur Verzierung obendrauf. Es gab 20 Logen, ein Restaurant, eine Konditorei, ein Bierpavillon, ein Salon für die Damen, Verwaltungsräume, Aufenthaltsräume für die Jockeys, außerdem Stallungen und Annahmestellen für die Wettfreunde, mit 18 Einzahlungs- und 8 Auszahlungsboxen. Auch die Presse, die Post und die Polizei hatte eigene Räume. Entworfen hatten die Gebäude die Architekten Harry R. Puttfarcken und Emil Janda, die einige Jahre später (1896) unter anderem auch für die Ausführung des Hamburger Giradet-Verlagshauses am Gänsemarkt verantwortlich waren, das lange dem „General-Anzeiger für Hamburg-Altona“ und später dem „Hamburger Anzeiger“ als Verlagshaus diente. Die Grünanlagen der Groß Borsteler Rennbahn hatte der Ingenieur für Gartenbau Rudolph Jürgens gestaltet.

Die eigentliche Rennstrecke bestand aus drei nebeneinanderliegenden Bahnen, die zwei äußeren aus Gras, die mittlere aus Sand. Die außen gelegene Flachbahn hatte eine Länge von 1870 Metern und war 20 Meter breit. Am Ende der Geraden sorgten eine größere und gegenüber eine kleinere 180 Grad-Kurve für eine Änderung der Laufrichtung. Im Innenbereich befand sich außerdem noch eine Hindernisbahn, als Acht angelegt, mit elf festen Hindernissen, darunter Hecken und Wassergräben. Der Raum zwischen den Tribünen und der Umfassungsbarriere der Rennbahn war großzügig bemessen, so dass hier sehr viele Rennfreunde nah am Geschehen sein konnten.

Am Samstag, den 18. Juli 1891 war es soweit: Auf der neuen Rennbahn wurde das erste Rennen gelaufen.

Wer gewonnen hat, wie es weiterging und was aus „unserer“ Rennbahn geworden ist, lesen Sie im nächsten Heft.

Ich danke Kai Deecke (Hamburg) und Harald Siemen (Timmendorfer Strand) für Hinweise, Fotos und Quellenmaterial zum Sport-Club und der Groß Borsteler Rennbahn.

André Schulz