MOIA – Zukunftsmodell für Stadtverkehr? On-Demand-Shuttle-Busse kommen aus Groß Borstel

Fragt man Verkehrswissenschaftler, wie die Zukunft des Verkehrs in zehn Jahren aussehen wird, müsste man ehrlicherweise ein Schulterzucken zur Antwort bekommen. Der Dieselbetrug deutscher Autohersteller, die Feinstaub- und Stickoxiddebatte mit Fahrverboten in deutschen Groß- und Mittelstädten, der Klimawandel, geändertes Mobilitätsverhalten: Niemand traut sich seriös an eine belastbare Prognose.

Eine Million Elektroautos bis 2020 in Deutschland, dieser kühne Wunsch Angela Merkels wird kaum in Erfüllung gehen. Zu lange hielt die mächtige Automobillobby mit den Argumenten Arbeitsplätze und Systemrelevanz die Politik in Geiselhaft und damit an überholten Mobilitätskonzepten fest.
Jetzt jedoch, in dem dritten Jahr der Automobilkrise, treten immer wieder neue Geschäftsmodelle auf den Markt, die die Entwicklung der innerstädtischen Mobilität beeinflussen, wenn nicht gar revolutionieren wollen.

Eines dieser Modelle ist Moia. Moia ist ein On-Demand-Shuttle-Service und ein Tochterunternehmen von VW. Kleinbusse in der Größe eines VW-Crafters (etwas größer als ein VW-Bus) mit Elektroantrieb, die auf Bestellung per Smartphone kommen und einen innerhalb des Geschäftsgebietes zum Ziel bringen. Die Busse sind sehr komfortabel bestuhlt, sie bieten neben dem Fahrer bis zu sechs Personen Platz. Im Unterschied zu normalen Taxifahrten können auf dem Weg zum Ziel mit Moia kleine Umwege gefahren werden, um Mitfahrer mitzunehmen, mit denen man sich dann den Preis für die Fahrt teilt. Gebucht und abgerechnet werden kann ausschließlich über eine Smartphone-App, nach Eingabe von Start und Ziel errechnet die App den Maximalpreis und die mögliche Fahrtdauer. Preislich wird Moia zwischen HVV und Taxi liegen. In diesem Bereich tummeln sich etliche Car-Sharing-Anbieter, etwa Car2Go oder DriveNow.

Sind diese Mitbewerber nun teurer als Moia? Müssten sie eigentlich sein: Zwar hat man bei Moia einen Fahrer, muss also nicht selbst fahren. Aber man teilt sich das Fahrzeug und nimmt Umwege in Kauf. Das senkt nach einem komplizierten Berechnungsalgorithmus den Preis für die Strecke mit jedem weiteren Mitfahrer. Je voller das Sammeltaxi wird, desto günstiger die Strecke. Neben dem Fahrer dürfen bis zu sechs Personen befördert werden. Vorteil zudem: Bei schlechtem Wetter sind die Carsharing-Autos zumeist nicht in unmittelbarer Nähe zu haben, weil ausgebucht. Moia kommt vorbei. Einen Moia-ähnlichen Dienst mit Elektrofahrzeugen bietet in Hamburg übrigens auch CleverShuttle, ein Unternehmen, an dem die Bahn AG beteiligt ist.

Als nachteilig wird beschrieben, dass die Moia- Busse zwar umweltfreundlich elek-trisch unterwegs sind, aber genauso wie alle anderen PKWs und Busse im Stau stehen müssen. Ferner erscheint es energetisch wenig vorteilhaft, wenn die Busse nicht ausgelastet sind und, neben dem Fahrer, nur mit einer oder zwei Personen besetzt gefahren werden. Das ist schlecht für Moias Ökobilanz. Auch müssen die Fahrzeuge, wenn keine Fahrten mehr gebucht werden, wieder leer zurück zum Standort – im Gegensatz zu Carsharing-Fahrzeugen, die man einfach am Zielort stehen lassen kann. Die sogenannte Rückkehrpflicht ist noch im Personenbeförderungsgesetz verankert. Das Gesetz soll gerade geändert werden. Die Taxifahrervereinigungen laufen Sturm gegen die Änderungen.

Moia ist eines der Leuchtturmprojekte in Groß Borstels neuem Gewerbegebiet am Petersen Park, dem Ex-Strüver-Gelände. Die Investoren haben am Niendorfer Weg einen vorläufigen Parkplatz mit Elektro-Ladestationen für zunächst 100 Moia-Busse fertiggestellt. Dort stehen sie in Reih‘ und Glied und warten bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch auf den Start am 15. April. Der Baustart des eigentlichen Moia-Gebäudes ist noch nicht erfolgt; das Vorhaben befindet sich in der Planungs- und Genehmigungsphase. VW will für Moia an der Papenreye ein siebengeschossiges Gebäude für Verwaltung und für 400 Moia-Ladestationen errichten. Die Moias sollen nachts mit zertifiziertem Gas aus eigenem Kraftwerk aufgeladen werden. Die Abwärme des Kraftwerks kann – so die Planung – die Wohnungen und Gewerbeeinheiten des Petersen Parks mit Warmwasser und Fernwärme beliefern. Auch den Nachbarn am Niendorfer Weg und der Stavenhagenstraße soll die Fernwärme zu günstigen Konditionen angeboten werden.

Dennoch ist das Moia-Projekt nicht unumstritten. Der Verkehrsmarkt ist durch die Autokrise kräftig durchgerüttelt worden. Personenbeförderung ist ein Riesengeschäft. Alle wollen vom neu zu verteilenden Kuchen ein großes Stück abhaben, nicht nur die Automobilindustrie: Bahnen und Busse, Taxis und Carsharing-Anbieter, neuerdings auch Elektrorollervermieter und selbst die Fahrradhersteller mit ihren schicken E-Bikes.

Stadt und Land sind dermaßen zersiedelt, dass Mobilität als geradezu zwangsläufig erforderlich erscheint. Den Arbeitsplatz erreichen, den Einkauf bewältigen, für alles braucht es ein Auto. Mühsam versucht die Politik seit Jahren, den Eltern von Schulkindern klarzumachen, dass die Kids nicht mit dem Auto zur Schule gefahren werden müssen. An jeder Schule dennoch das gleiche Bild: Stau im Halteverbot zu Schulbeginn.

Die Blechlawine in Groß Borstel macht selbst vor den Grünanlagen nicht halt. Es wird schon als Gewohnheitsrecht reklamiert, neben Fahrrad- und Fußwegen selbst die Grünflächen am Straßenrand als Parkplätze zu nutzen.

Seit Monaten parken Autos von Angestellten aus dem Gewerbegebiet auf der Rasenfläche vor dem Sportplatz am Brödermannsweg. Die Polizei kümmert sich nicht flächendeckend um die Falschparker, greift maximal punktuell ein, was absolut nichts bringt, und meint, eigentlich sei nicht sie zuständig, sondern das Parkraummanagement, das es bekanntlich in Groß Borstel nicht gibt.

Die heilige Kuh Auto zu schlachten, fällt vielen schwer. Zuletzt hatten die Autohersteller immer größere, immer absurder anmutende Autos gebaut – fern jeder Vernunft. Jetzt, wo Alternativen gebraucht werden, zeigt sich, wie brüchig dieser Holzweg ist. Wenn schon Elektrofahrzeuge, dann müssen sie möglichst leicht und klein sein. Je leichter und je kleiner sie sind, desto effizienter können sie bewegt werden. Das alte Denken – groß, größer, am größten – ist bei jungen Menschen kaum noch verbreitet. Firmenchefs sehen sich verwundert einer jungen, hochqualifizierten Bewerbergeneration gegenüber, bei der die alte Trumpfkarte Dienstwagen in Gehaltsverhandlungen immer seltener zieht. Aber genau darauf hatten die Premiumhersteller jahrelang gesetzt und zuletzt über 50 Prozent des Pkw-Umsatzes mit Dienstwagen gemacht.

„Busse und Bahnen sind die größten Sammeltaxis, die man sich vorstellen kann“, sagt Jan Schilling, Geschäftsführer beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Wenn man jedoch in die immer überfüllte Buslinie 5 einsteigt oder in Busse, die sich durch den Innenstadtverkehr drängeln, dann sinnt man schnell über Alternativen nach.

Weit vor Moia und vor allem weit vor dem Dieselskandal hatte es die amerikanische Mitfahrplattform Uber schon einmal versucht. Uber ist ein milliardenschweres internationales Unternehmen, das die Beförderung mit privaten PKWs vermittelt. Fast überall, auch in Europa, nicht aber in Deutschland. Hamburg hatte als erste Stadt den Betrieb von Uber untersagt. Vielleicht, weil die Stadt Konkurrenz zum stadteigenen Hochbahnbetrieb sah, und bestimmt auch, weil man sich vor der lautstarken Taxilobby fürchtete. Aber insbesondere, weil es für viele in der Verkehrsbehörde einfach zu früh war, die bisherige Verkehrspolitik zu überdenken. Hamburg reklamierte, Uber verstoße gegen das Personenbeförderungsgesetz. Die Gerichte bestätigten das Hamburger Uber-Verbot.

Moia scheint geschickter vorgegangen zu sein. Die VW-Tochter holte Hamburgs Hochbahn als Kooperationspartner mit ins Boot. Und erhielt für den Betrieb, der offiziell als Testbetrieb läuft, eine Ausnahmegenehmigung. Zwar nicht für die zuerst beantragten 1000 Fahrzeuge, aber für bis zu 500. Offenbar hat die Taxilobby Bedenken geäußert.

Nun sollen wir uns also auf Moia freuen, eine tolle Alternative zu Bus und Bahn, Fahrrad, Elektro-Roller und Co? Die Mitarbeiter des Borsteler Boten werden in Kürze einen Selbstversuch starten und über einen kleinen Betriebsausflug mit Moia berichten.

Allzu weit darf der Ausflug nicht gehen. Das Geschäftsgebiet von Moia erstreckt sich von Flottbek bis Horn und von der Hafencity bis nach Fuhlsbüttel. Nicht jedoch bis in die Hamburger Randgebiete, etwa bis Rahlstedt oder Eidelstedt. Aber wer will da auch schon hin?
Uwe Schröder