HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN. MOORWEG 50

Alfred Ehrhardt, Fotograf und Dokumentarfilmer

Das Haus im Moorweg 50, heute Köppenstraße 38, durfte nicht nur Professor Dr. Ferdinand Dannmeyer mit seinem Lichtforschungsinstitut zu seinen berühmten Bewohnern zählen. Hier wohnte auch Alfred Ehrhardt mit seiner Frau Lotte, der Tochter von Ferdinand Dannmeyer. Alfred Ehrhardt war Musiker, Lehrer und Künstler und wurde dann – notgedrungen – Fotograf und Dokumentarfilmer.

Noch vor dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte er zahlreiche Bildbände mit seinen Naturfotos und produzierte bereits Dokumentarfilme. Nach dem Krieg wurde er vor allem durch Industriefotos und eine Reihe von weiteren Dokumentarfilmen bekannt.

Alfred Ehrhardt stammte aus dem Städtchen Triptis bei Gera und wurde dort 1901 geboren. Nach der Schulzeit studierte er Musik. Er arbeitete zunächst als Organist und wurde dann Lehrer für Musik, Kunst und Sport an einem Landeserziehungsheim des Reformpädagogen Max Bondy. 1928/29 nahm Alfred Ehrhardt am Bauhaus in Dessau ein Kunst- und Theaterstudium auf. Er besuchte dort unter anderem Vorlesungen von Paul Klee und Lyonel Feiniger, freundete sich mit Wassily Kandinsky an und besuchte die Theaterworkshops bei Oskar Schlemmer.

Alfred Ehrhardt als Maler

1930 nahm Alfred Ehrhardt eine Stelle als Lehrer an der Landeskunstschule in Hamburg an. Er heiratete Mia Burchard aus der Bankiersfamile Warburg, eine seiner Schülerinnen. 1932 wurde dem Paar der gemeinsame Sohn Klaus geboren. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland und der Gleichschaltung der öffentlichen Einrichtungen endete Ehrhardts Karriere als Kunstlehrer in Hamburg. Da die Nationalsozialisten das Bauhaus und seine Schule als „entartet“ und „kulturbolschewistisch“ einstuften, wurde der Bauhaus-Schüler Ehrhardt aus dem Staatsdienst entlassen. Auch seine Ehe mit Mia Burchard scheiterte und wurde geschieden.

Holzschnitt von Alfred Ehrhardt

Ehrhardt ging nun als Organist nach Cuxhaven und begann, sich mit der Fotografie zu beschäftigen. Das Watt zwischen Scharhörn und Neuwerk weckte sein Interesse, und er fertigte hier einzigartige Fotografien der Wattlandschaft an. In seinen Fotos verwandelte er die Natur des Watts in abstrakte Bildwerke und erzielte damit weltweite Aufmerksamkeit als Avantgarde-Fotograf.

1936 und 1937 wurden seine Fotos in Ausstellungen in Hamburg, später auch in London, Paris, Stockholm und Kopenhagen gezeigt. Er veröffentlichte seine Bilder zudem in insgesamt 13 Bildbänden. 1934 hatte Alfred Ehrhardt die Kurische Nehrung besucht und war an weiteren Reisen interessiert. Auf Neuwerk suchte Alfred Ehrhardt den Kontakt zu Professor Dannmeyer, von dem er wusste, dass dieser aus Forschungsgründen Reisen nach Island unternahm. Bei diesen Treffen lernte Alfred Ehrhardt auch Dannmeyers Tochter Lieselotte kennen. Das Paar heiratete 1938 und unternahm im gleichen Jahr eine Hochzeitsreise nach Island, das zu jener Zeit noch sehr wild und unerschlossen war.

Bei der Reise entstanden aufregende Fotos und auch Filme, da Ehrhardt inzwischen auch mit Bewegtbildern zu experimentieren begonnen hatte. 1939 wurde sein erster Film über das Watt „Urkräfte am Werk“ im Waterloo-Theater in Hamburg (Dammtorstraße 14, im Innenhof des Waterloo-Hotels) uraufgeführt. 1940 fotografierte er in Flandern und drehte dort zwei Dokumentarfilme. Sein Film mit den Aufnahmen auf Island wurde 1941 fertiggestellt und unter dem Titel „Nordische Urwelten“ gezeigt.

Fotos: Alfred Ehrhardt
Fotos: Alfred Ehrhardt

Im März 1942 wurde Alfred und Lotte Ehrhardt der einzige Sohn Jens geboren. Die Familie lebte im Haus von Ehrhardts Schwiegervater Ferdinand Dannmeyer, mit der damaligen Adresse Moorweg 50. Nur wenige Wochen nach der Geburt des Sohnes wurde das Haus bei einem Bombenangriff schwer beschädigt. Die Familie überlebte den Angriff im Keller des Gebäudes.

Bildband über die Wattlandschaft zwischen Neuwerk und Scharhörn

Ein Freund von Alfred Ehrhardt lud ihn und seine Familie ein, auf einen Landsitz nach Bad Orb bei Frankfurt zu ziehen. Dort blieben die Ehrhardts bis zum Ende des Krieges. 1943 fotografierte Alfred Ehrhardt noch die Häuser des mittelalterlichen Stadtkerns von Frankfurt, bevor die Stadt in den schweren Bombenangriffen von Oktober 1943 bis März 1944 völlig zerstört wurde. Nach Ende des Krieges, 1947, konnte das elterliche Haus von Lotte Ehrhardt wieder aufgebaut werden, und die Familie zog zurück nach Groß Borstel.

Zwischen 1950 und 1965 drehte und produzierte Alfred Ehrhardt nun mit seiner Hamburger Produktionsfirma Alfred-Ehrhardt-Film, in der seine Frau Lotte die wichtigste Mitarbeiterin war, eine große Anzahl von Dokumentarfilmen. Sein Gesamtwerk umfasst etwa 50 Filme. Der zweiteilige Film über Ernst Barlach (1950) gewann auf der XI. Biennale in Venedig den 1. Preis. Für seine Filme erhielt Alfred Ehrhardt insgesamt vier Bundesfilmpreise, zahlreiche Bundesfilmprämien und für Dutzende seiner Filme auch das Prädikat „besonders wertvoll“. Darüber hinaus gewann er in den 1950er Jahren in jedem Jahr mehrere internationale Filmpreise.

Auch als Fotograf war Alfred Ehrhardt weiterhin aktiv. 1952 fertigte er als Auftragsarbeit für die Hamburger Handelskammer eine Serie von Industrieaufnahmen unter dem Titel „Hamburg als Industrieplatz“ an. Sie zeigte damals modern wirkende Aufnahmen von in Hamburg ansässigen Firmen wie von den Norddeutschen Kohlen- und Kokswerken auf der Hamburger Elbinsel Veddel, den Valvo-Werken der Deutschen Philips GmbH, den Betrieben von Shell, Montblanc, Sanella, Steinway & Sons, Carl Kühne, der Allgemeinen Telefonfabrik, des Bergedorfer und des Ottenser Eisenwerks. Die Aufnahmen erinnerten in ihrer Ästhetik jedoch sehr an die menschenfressenden Industrien in Fritz Langs Science-Fiction-Stummfilm und Meisterwerk „Metropolis“ aus dem Jahr 1925.

Alfred Ehrhardt auf Island
Makrofotografie: Öltanks in Harburg

Alfred Ehrhardt starb am 28. Mai 1984. Seine Frau Lotte lebte bis zu ihrem Tod im Haus in der heutigen Köppenstraße. Sie starb am 15. Dezember 2005, 94-jährig. Die von ihrem Sohn Jens Ehrhardt ins Leben gerufene Lotte-Ehrhardt-Stiftung unterstützt zahlreiche soziale Projekte.

2002 hatte Jens Ehrhardt bereits die Alfred-Ehrhardt-Stiftung gegründet, die heute ihren Sitz in Berlin hat und das Andenken an den Fotografen und Dokumentarfilmer bewahrt. Seit ihrer Gründung organisierte die Alfred-Ehrhardt-Stiftung knapp 70 Ausstellungen, zuletzt 2019 anlässlich der 100-Jahr-Feier des Bauhauses.

Mikrofotografie: 2mm große Schnecke

In der Alfred-Ehrhardt-Stiftung wird auch der künstlerische Nachlass verwaltet. Zu diesem gehören etwa 10.000 Fotos als Silbergelatineabzüge, 1000 Glasnegative, 5.000 Zelluloidnegative und 100 Glasdias, darüber hinaus auch Manuskripte, Typoskripte, Notizhefte, Zeitschriften, Zeitungsauschnitte und Bücher aus Ehrhardts Bibliothek. Über 1000 Fotos von Alfred Ehrhardt können in der Deutschen Fotothek im Internet eingesehen werden – ein Besuch, der sich lohnt.

Alfred Ehrhardt als Kameramann

Alfred Ehrhardts 50 Dokumentar- und Kulturfilme werden vom Landesinstitut Hamburg und von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung Wiesbaden verwahrt.

2007 erwarb Jens Ehrhardt auch das Geburtshaus seines Vaters in Triptis und richtete dort ein Museum mit Werken von Alfred Ehrhardt ein.

Mit freundlicher Unterstützung der Alfred Ehrhardt Stiftung. Fotos: Alfred Ehrhardt Stiftung.

André Schulz