HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN

DIE MARGARINEFABRIK AM KELLERBLEEK

Die Herstellung von Butter war wohl schon den Sumerern (3000 v. Chr.) bekannt. Als energiereiches Nahrungsmittel war Butter überall stets begehrt, aber nicht in beliebiger Menge verfügbar, nicht lange haltbar und besonders in früheren Zeiten recht teuer, ganz besonders in Krisenzeiten.
Zur besseren Versorgung seiner Truppen suchte der französische Kaiser Napoleon III. einen günstigen Butterersatz und lobte zu diesem Zweck einen Preis aus. 1869 gelang dem Chemiker Hippolyte Mège-Mouriès die Herstellung einer künstlichen Butter, die er „beurre économique“ und später „margarine mouriès“ nannte. Die Margarine war geboren, wobei sich die Zusammensetzung der Ersatzbutter im Laufe der Geschichte immer wieder änderte. Da „gute Butter“ nach dem Ersten Weltkrieg für den Normalbürger so gut wie unerschwinglich war, wurde Margarine in Deutschland zu einem Volksnahrungsmittel. Deutschland war bis zum Zweiten Weltkrieg einer der führenden Produzenten von Margarine, und Hamburg war die Drehscheibe für den Import der Rohstoffe. Viele Margarine-Produzenten siedelten sich auch gleich in Hamburg an. Auch am Rande von Groß Borstel existierte eine Zeit lang eine Margarine-Fabrik, am Kellerbleek 5, mit einer allerdings nur kurzen Geschichte. Das Haus existiert noch, wird aber auf andere Weise genutzt.

Eine alte Architekturskizze des Umbaus zur Margarinefabrik

Das Fabrikhaus am Kellerbleek 5 ist vermutlich ungefähr zur gleichen Zeit entstanden wie das alte Lokstedter Wasserwerk nebenan, in dem sich heute das Restaurant „Zur Pulvermühle“ befindet. Das Wasserwerk wurde 1910 gebaut. Zu welchem Zweck das Haus Kellerbleek 5 ursprünglich genutzt wurde, ist nicht bekannt. Vielleicht befand sich hier auf damals noch sehr ländlichem Gebiet zunächst eine Molkerei.

Nachdem Hippolyte Mège-Mouriès sein Patent für die Margarine-Produktion verkauft hatte, entwickelte sich nach 1871 eine florierende Margarine-Industrie. Die erste Fabrik in Deutschland entstand in Köln mit der Margarine-Marke Botteram. Die niederländischen Unternehmen Jurgens und van den Bergh stellten Margarine mit der Marken Rama her. Als das Deutsche Reich 1888 Schutzzölle auf Margarine erhob, begannen Jurgens und van den Bergh, auch in Deutschland zu produzieren. Die beiden niederländischen Unternehmen kauften Konkurrenten auf und fusionierten 1927 zu „Margarine Unie N.V.“ In England und den USA war hingegen die Firma der Lever Brothers bei der Margarine-Produktion erfolgreich.

1930 fusionierten die beiden großen Margarine-Produzenten zu Unilever. Zu ihren Marken gehören Margarine wie Rama, Sanella, Lätta und Becel. Die Verwaltungszentrale von Unilever Deutschland nahm ihren Sitz in Hamburg und befindet sich seit 2009 in der Hafen City neben dem Marco Polo Tower.

Mège-Mouriès verarbeitete in der Ur-Margarine unter anderem noch zerstoßene Kuh-Euter. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war vor allem Walöl oder Waltran der Rohstoff für Margarine. Das Deutsche Reich versuchte sich, in den 1930er Jahren von den Importen unabhängig zu machen, indem es eigene Walfangflotten aufbaute, auch deshalb interessant, weil aus dem Walöl Schmierstoffe für Maschinen und Glycerin hergestellt werden konnten, der Vorstufe für Sprengstoff. In den letzten drei Vorkriegsjahren erlegten allein die deutschen Schiffe 18.000 Wale. Mit dem Krieg war Schluss mit dem deutschen Walfang, und nach dem Krieg wurden internationale Fangquoten und Fangverbote festgelegt. Bei der Margarine-Produktion wechselte man nun auf pflanzliche Rohstoffe.

Die Margarinefabrik Groenhoff & Laub nahm erst nach dem Krieg die Produktion am Kellerbleek 5 auf. Sie verkaufte Margarine-Würfel mit den Namen „Eiland“ und die Schokoladenmargarine „Schokosan“. Schon 1954 geriet Groenhoff & Laub jedoch in Schieflage.

Die Firma van den Bergh hatte für seine Feinkost Margarine „Schwan im Blauband“ besondere Werbeformen erdacht. Die
Margarine sollte besonders bei Kindern bekannt gemacht werden und eine frühzeitige Bindung an das Produkt erreicht werden. Zu diesem Zweck ließ die Firma Schulschautafeln herstellen und an allen Schulen verteilen. Ein anderes Werbeprodukt war eine Comic-ähnliche Zeitschrift die mehrere Jahre regelmäßig erschien und in den Geschäften direkt an die Kinder verteilt wurden.

Im Einkauf spekulierte die Geschäftsleitung auf steigende Rohstoffpreise. Anfang 1954 brachen die Weltmarktpreise für die Ölsaaten aber plötzlich zusammen. Die Lagerbestände von Groenhoff & Laub verloren an Wert, und die Weiterverkäufe verursachten Verluste.

Die Geschäfte von Groenhoff & Laub wurden von der Hamburger Privatbank Werner & Frese (Gegr. 1858) am Neuen Wall finanziert, die die Verluste mit Krediten eine Zeit lang ausglichen. Als die Bank schließlich einen Wechsel nicht mehr einlöste, wurden die Kunden der Bank aufmerksam und zogen innerhalb kurzer Zeit ihre Einlagen aus der Bank. Die Bank war selbst insolvent und musste schließlich von einem Bankenkonsortium gestützt werden.

Groenhoff & Laub am Kellerbleek ging mit 16,46 Mio. Mark Verbindlichkeiten in Konkurs und riss dabei auch einen seiner Lieferanten mit, die European and Overseas Trading Company. Der Konkurs bedeutete aber nicht das Aus für den Kaufmann Fritz Gottlieb Groenhoff. Er gründete 1956 die Firma Vitakost und kopierte beim Verkauf seiner neuen Margarine „Dottersan“ nun ein Direktmarketingverfahren des Margarine-Millionärs Walther Bölck. Dieser hatte schon in den 1920er begonnen, seine Margarine „Plantasan“ von firmeneigenen Hausierern direkt an die Haushalte auszuliefern und war damit überaus erfolgreich. Nachdem Vitakost begann, die Hausierer der Firma Bölck abzuwerben, wurden die Firma abgemahnt, und sie musste ihre Versuche des „unlauteren Wettbewerbs“ nach einem Gerichtsverfahren einstellen.

Ein altes, niederländisches Werbeplakat stellt eine Blindverkostung dar.

Vermutlich fand das Grundstück am Kellerbleek 5 nach dem Konkurs von Groenhoff & Laub 1954 neue Besitzer. Aus diesem Jahr existieren noch Pläne für einen Umbau und eine Aufstockung des Gebäudes. So entstanden in der alten Margarine-Fabrik auch einige Wohnungen. Bis Ende des 20. Jahrhunderts war das Grundstück im Besitz der Familie Seibert. Eine Erbengemeinschaft verkaufte die Gebäude und das Grundstück im Jahr 2000 an Bernhard Becker, der hier seine Firmen Becker Ladenbau und Kleiderständer Company sowie seine Agentur für die Firma Wanzl Ladenbau unterbrachte. Im Inneren wurde das Haus den neuen Anforderungen angepasst, aber besonders in den Lagerräumen im Untergeschoss kann man in den alten Gängen, Dusch- und Umkleideräumen noch viele ursprüngliche Bauelemente entdecken und sich vorstellen, wie hier am Rand von Groß Borstel nach dem Krieg die Margarine-Würfel der Marken „Eiland“ und „Schokosan“ gestapelt und vertrieben wurden.

André Schulz
mit bestem Dank an Bernhard Becker für die Unterstützung.