Häuser die Geschichten erzählen.

DAS BLAUE HAUS IN DER WOLTERSSTRASSE

Wenn man von der Borsteler Chaussee in die Woltersstraße einfährt, steht gleich vorne rechts ein blau gestrichenes Einfamilienhaus.

Das Haus ist eines der ältesten Gebäude in der Straße. Es trägt die Hausnummern 6 und 6 a für einen Nebeneingang, der zum Hinterhaus führt. Das Hinterhaus wurde wohl erst in den 1920er-Jahren an das ursprüngliche Haus angebaut. Und bis in die späten 1980er-Jahre gab es nur einen Eingang, über den Garten erreichbar. Der zweite Eingang an der Vorderseite kam erst später hinzu.

Eine der letzten Bewohnerinnen des Hauses war Traute Matthes-Walk, bis zu ihrem Tod die Herausgeberin des Borsteler Boten. Seit ihrem Tod 2018 ist das Haus unbewohnt. Traute Mattes-Walk war nicht die einzige namhafte Persönlichkeit, die im Laufe der Zeit das Haus Nr. 6 an der Woltersstraße bewohnt hat.

Die Geschichte der Bewohner des Hauses geht bis in das 19. Jahrhundert zurück. Ursprünglich befand sich das Haus im Besitz der Familie Pann, einer alteingesessenen Groß Borsteler Familie und Mitbegründerin des Kommunalvereins. Franz Heinrich Pann (1837 – 1910) führte mit seiner Frau Dorothee Louise, geborene Klünder (1845 – 1900), die Baumschule F. H. Pann an der Borsteler Chaussee 159.

1898 heiratete die Tochter der Panns, Marie Louise, den Gärtner Friederich Christian Kruse. Nach dem Tod seines Schwiegervaters 1910 übernahm Christian Kruse zusammen mit seinem älteren Bruder Herrmann Christian Kruse den Betrieb.

Herrmann Christian Kruse und seine Frau Johanna Mester adoptierten 1917 den zum Waisen gewordenen Neffen der Ehefrau, Herrmann Heinrich Töpper. Der Junge nahm nach der Adoption den Namen Kruse an und arbeitete im Betrieb mit. Herrmann Christian Kruse bewohnte mit seiner Familie das Haus in der Woltersstraße 6. Sein Adoptivsohn Herrmann Heinrich Kruse heiratete 1921 Anna Böge und hatte mit ihr zwei Kinder, Uwe und Ursula Kruse. Herrmann Heinrich Kruse starb jedoch schon in jungen Jahren, im Jahr 1935, sein Adoptivvater Herrmann Christian Kruse im Jahr danach. Bereits 1934 war auch dessen Bruder Friedrich Christan Kruse verstorben.

Anna Boege im Jahr 1955 mit ihren Enkelkindern Michael Kruse, Waltraut und Bärbel Hof.
3.+4. Zu den wenigen Bildern aus den 80er-Jahren gehören diese Ansicht vom Garten hinter dem blauen Haus und das Portrait von Volker Ahmels beim Frühstück mit French-Press-Kaffee und einer Camel.


Herrmann Heinrich Kruses Witwe Anna Böge führte die Gärtnerei nicht fort. Sie nahm eine Stelle in den Strüwerwerken an und arbeitete dort bis zum Rentenalter in der Kantine als Küchenhilfe. Auch ihr Sohn Uwe Kruse wollte den Gartenbetrieb nicht übernehmen. Er studierte stattdessen Chemie. An der Borsteler Chaussee existierte aber noch, vielleicht als Rest der einstigen Gärtnerei, ein Blumengeschäft, das von Heinz Kruse geführt wurde. Er war möglicherweise ein leiblicher Sohn von Herrmann Christian Kruse und Johanna Mester. Ende der 1950er-Jahre verkaufte Anna Böge das Haus in der Woltersstraße 6 an das Ehepaar Zipprick. Der Tischlermeister Walther Zipprick und seine Frau Martha waren während des Zweiten Weltkriegs aus Ostpreußen nach Hamburg geflüchtet. Anna Böge bewohnte aber weiterhin bis kurz vor ihrem Tod als Mieterin ein Zimmer im Obergeschoss. Die übrigen kleinen Zimmer des Vorderhauses wurden von wechselnden Mietern bewohnt. Die Familie Zipprick zog in das Hinterhaus, in dem zuvor Anna Böge-Kruses Sohn Uwe und seine Familie gelebt hatten.

Anfang der 1970er kam es auf dem Nachbargrundstück zur Borsteler Chaussee hin zu einem Brand. Ein altes Haus, in dem ursprünglich die Hubertus-Apotheke untergebracht war, brannte völlig nieder. An seiner Stelle wurde ein neues Gebäude gebaut, mit einem Restaurant im Erdgeschoss. Das Restaurant steht nun seit einigen Jahren leer.

Auf dem Grundstück neben der einstigen Hubertus-Apotheke entstand Anfang der 1970er-Jahre eine der ersten Hamburger Filialen des wachsenden Discounters Aldi. Die Hubertus-Apotheke wechselte die Straßenseite und zog gegenüber in einen größeren Gewerbe-Neubau-Komplex.

Zu den wenigen Bildern aus den 80er-Jahren gehören diese Ansicht vom Garten hinter dem blauen Haus und das Portrait von
Volker Ahmels beim Frühstück mit French-Press-Kaffee und einer Camel.

In den 1980er-Jahren kaufte die Malermeisterin Karin Salchow aus Norderstedt das Haus an der Woltersstraße. Sie strich das zuvor gelbe Haus in der blauen Farbe an, die bis heute gehalten hat. Inzwischen war das Haus von Studenten in Wohngemeinschaften bewohnt.

Unter anderem war dort 1981 Volker Ahmels eingezogen, als er seinen Zivildienst an der Schule Lokstedter Damm absolvierte. Auch seine heutige Ehefrau Friederike Haufe wohnte in der Woltersstraße 6. Das Paar zog später in die Wohnung im Hinterhaus und schließlich, nachdem das Haus an Ute Graham verkauft worden war, weiter in die Köppenstraße. Der Diplommusikpädagoge Volker Ahmels wurde 1991 zum Direktor des Konservatoriums Johann Wilhelm Hertel in Schwerin berufen. Friederike Haufe ist selbstständige Musikpädagogin und Kreativ-Coach. Beide bilden ein erfolgreiches Klavierduo und sind in Groß Borstel in der Initiative Marcus und Dahl aktiv.

Die verwilderte Hinterseite

Volker Ahmels ist zudem ein sehr guter Schachspieler, war 1976 Deutscher C-Jugendmeister, 1978 B-Jugendvizemeister und spielte in der Schachbundesliga. Mit dem Kirchenmusiker Georg Conradi wohnte Anfang der 1980er-Jahre ein weiterer Musiker in der Woltersstraße 6.

Traute Matthes-Walk, die letzte Bewohnerin des Hauses, kam nach dem Krieg als Kind nach Hamburg. Sie wohnte seit 1969 in Groß Borstel und war mit dem Groß Borsteler Architekten Henning Matthes verheiratet. Die Ehe wurde später geschieden. Traute Matthes-Walk war über Jahrzehnte im Kommunalverein aktiv. 1978 übernahm sie die Redaktionsleitung des Borsteler Boten und war bis kurz vor ihrem Tode im April 2018 Herausgeberin der Monatshefte. Traute Matthes-Walk wurde zur Geschichtsschreiberin von Groß Borstel und veröffentliche zusammen mit dem Kommunalverein mehrere Bücher zur Ortsgeschichte.

Das Haus in der Woltersstraße hat sich in den letzten 50 Jahren eigentlich kaum verändert, meint ein Nachbar. In jüngster Zeit aber vielleicht doch. Das kleine Grundstück hinter dem Haus ist inzwischen verwildert und hinter dem Haus liegen noch einige Besitztümer der letzten Bewohner als Müll herum. Oder vielleicht hat jemand hier seinen Sperrmüll abgeladen. Offenbar soll das Haus abgerissen werden. Mit ihm wird auch ein Stück Ortsgeschichte verschwinden.

Besten Dank an Michael Kruse, der als Sohn von Uwe Kruse im Haus Woltersstraße 6 zur Welt kam.
André Schulz

Michael Kruse am Eingang Woltersstraße 6