HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN

Calciumnitrat, das als Dünger Verwendung findet, in einer extremen Mikroskopaufnahme mit polarisierenden Licht. Mit Geräten der Firma A.Krüss sind unter anderem solche wissenschaftlichen Aufnahmen möglich

Krüss – Start-Up mit Geschichte II

Die A.Krüss Optronic GmbH an der Alsterdorfer Straße und die Krüss GmbH an der Borsteler Chaussee, beide im Dezember-Boten vorgestellt, agieren sehr erfolgreich als eigenständige Unternehmen. Sie blicken aber auf eine lange gemeinsame Geschichte zurück.

Diese begann, als der „Mechanicus Opticus“ Edmund Gabory mit seiner Frau Mary und seiner einjährigen Tochter Mary Ann nach Hamburg kam. Das war im Jahr 1776. Gabory stammte eigentlich aus dem Elsass, in Straßburg geboren. Als junger Mann ging er nach London und lernte beim berühmten englischen Optiker, Astronomen und Hersteller wissenschaftlicher Instrumente Jesse Ramsden (1735-1800) den Bau optischer Geräte. 1770 machte Gabory sich zunächst in London selbstständig, dann zog er weiter nach Hamburg.

Die Hansestadt befand sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Aufschwung, wirtschaftlich und kulturell. Die Einwohnerzahl ging auf die 100.000 zu. Als Gabory in die Hansestadt kam, hatten wohlhabende Hamburger Bürger gerade das Hamburger Nationaltheater gegründet und Gotthold Ephraim Lessing als Dramaturg bestellt. Gabory kaufte an der Nicolaikirche, in der Neuen Burg 14, ein Haus und begründete hier eine Werkstatt für optische Instrumente.

Auf dem Dach des Hauses richtete Gabory eine Sternwarte ein, aus Interesse an der As-tronomie, aber auch um seine selbst gefertigten Ferngläser und Fernrohre vorzustellen. Sein Geschäft florierte, bis 1806 die Franzosen im Zuge des so genannten „Dritten Koalitionskrieges“ Hamburg besetzten. Gaborys Geräte englischen Ursprungs wurden zerstört. Die übrigen Instrumente verwendeten die Franzosen für ihre eigenen Zwecke.

Das Gewerbe eines Optikers durfte er immerhin weiterführen, und er erhielt dafür eine schriftliche Erlaubnis, die sich bis heute im Familienarchiv befindet.

1814 wurde Edmund Gabory infolge einer Verletzung jedoch krank und starb im entbehrungsreichen Winter des gleichen Jahres. Gaborys Frau Mary und sein in Hamburg geborener Sohn Nicolas führten das Geschäft weiter.

Wie aber kam der Name „Krüss“ in die Familiengeschichte? Die Herkunft vieler Träger dieses Namens weist nach Helgoland. Der berühmteste Vertreter des Namens ist der auch auf Helgoland geborene Kinderbuchautor James Krüss (1926-1997, „Timm Thaler“).
1806 verhängte Napoleon mit einer Kontinentalsperre eine Wirtschaftsblockade gegen England. Das Embargo traf auch die Hamburger Kaufleute und ihren Englandhandel hart. 1807 besetzten die Engländer dann aber Helgoland, das bis dahin zum mit Frankreich verbündeten Dänemark gehört hatte. Hamburger und Bremer Kaufleute organisierten nun über Helgoland einen intensiven „Schleichhandel“, an der Kontinentalsperre vorbei.

Die Gewerbeerlaubnis der französischen Besatzer von 1807
Andres Krüss

An diesem war auch der 1791 auf Helgoland geborene Andres Krüss einige Zeit beteiligt. Dann wurde er in Hamburg sesshaft und gründete mit einem seiner Brüder eine Zigarrenfabrik. In Hamburg lernte Andres Krüss Edmund Gaborys Tochter Mary Ann kennen. Das Paar heiratet 1823. Andres Krüss gab daraufhin seine Zigarrenfabrik auf und stieg in das optische Geschäft der Gaborys ein. Zu dieser Zeit konzentrierte sich die Firma vor allem auf den Vertrieb von nautischen Instrumenten und Seekarten und war damit dank des wirtschaftlichen Aufschwungs nach der französischen Besatzungszeit und des Überseehandels erfolgreich.

1842 änderte sich die wirtschaftliche Situation der Firma dramatisch. Der Große Brand vom 5. bis 8. Mai 1842 vernichtete praktisch die ganze Hamburger Innenstadt zwischen Elbe und Alster. Auch die Nikolaikirche und die Nachbarhäuser brannten nieder, darunter die Krüss-Gabory-Werkstatt, die sich inzwischen im Haus Neuenburg 55 befand. Geräte und Waren im Wert von über 60.000 Reichsmark gingen in Flammen auf. Das Geschäft wurde nach dem Brand in der Reichenstraße neu eröffnet.
Im November 1844 trennte Andres Krüss sich von der Firma Gabory und eröffnet am Alten Wall das „Optische Institut A. Krüss“.

Innenstadtkarte des Großen Brandes von 1842, der in der Nähe des Rödingsmarkts am 5. Mai ausbrach und bis zum 8. Mai wütete. Die letzte betroffene Straße heißt seitdem Brandsende. Die Lage der Firma Krüss ist mit dem roten Kreis markiert.

Nur vier Jahre später, am 25. Oktober 1848, wurde Andres Krüss jedoch das Opfer einer der häufigen Hamburger Cholera-Epidemien und verstarb. Seine Witwe Mary Ann führte das Geschäft weiter und übergab es 1851 an ihre Söhne, Edmund Johann (1824) und William Andres (1829).

Die Firma kaufte das Haus Adolphsbrücke 7 und nahm hier bis 1920 ihren Firmensitz. Das stattliche Haus wurde im Zweiten Weltkrieg leider zerstört.

In der Werkstatt an der Adolphsstraße produzierte Krüss verschiedene Messinstrumente, Barometer, Dampfmaschinen und Waagen, aber auch kleinere Dampfschiffe für die Küstenschifffahrt. 1859 wurde eine Linsenschleiferei eingerichtet.

Bald stellt Krüss auch sehr lichtstarke Objektive für die noch junge Fotografie her. Er wurde für die hohe Qualität seiner Produkte mehrfach ausgezeichnet, so auf der Weltausstellung 1862. Krüss begann mit der Entwicklung von Projektionsapparaten und ließ sich 1865 die „Laterna Magica“ (Wunder-Kamera) patentieren.

Die Firma produzierte zudem Spezial-Mikroskope und war auch an der Entwicklung von elektrischen Leuchtmitteln für öffentliche Laternen beteiligt. 1874 schied William Krüss aus dem Geschäft aus, und Hugo Krüss (*1853), der Sohn von Edmund Krüss, trat in das Geschäft ein. 1886 übernahm Krüss dann das Optische Geschäft von Edmund Gabory, der aus privaten Gründen aufgab, womit die beiden Firmen wieder vereint waren.

Hugo Krüss hatte nach der Schulzeit in Hamburg und München eine optisch-mechanische Ausbildung und dann ein technisches Studium absolviert, das er mit Promotion abschloss. 1888 übernahm Hugo Krüss die alleinige Geschäftsführung. Unter seiner Führung wurden photometrische und spektroskopische Instrumente in die Produktpalette übernommen. Dabei entwickelte und verbesserte er selbst eine Reihe von verschiedenen Instrumenten. Zu seinen Entwicklungen gehörte das Prismenphotometer (1884), das Kompensationsphotometer (1885), mit dem Farbunterschiede zweier verschiedenfarbiger Lichtquellen reduziert werden konnten, ein Glühlampenstativ (1887) und das Polarisationsphotometer (1888). Später folgten mehrere Varianten von Photometern (1894).

Hugo Krüss galt bald sowohl in praktischer als auch in theoretischer Hinsicht als führender Experte für das Gebiet der Photometrie und der Spektralanalyse und verfasste mehrere Werke über optische Messverfahren. Auch im gesellschaftlichen Leben Hamburgs spielte er eine große Rolle. Er gehörte unter anderem der Oberschulbehörde an und setzte sich für einen verbesserten naturwissenschaftlichen Unterricht ein. Hugo Krüss war außerdem Mitglied in mehreren wissenschaftlichen Vereinen. Als Vorstand in der Nikolaikirche und als Präsident des Kirchenrates engagierte er sich in der Evangelischen Kirche. 1920, fünf Jahre vor seinem Tod, übergab er die Firmenleitung an seinen Sohn Paul Krüss (*1880).
Paul Krüss hatte in Göttingen, München und Jena Naturwissenschaften studiert. Mit Paul Krüss wird Groß Borstel ein Teil der Familiengeschichte. 1911 bezog er mit seiner Frau ein Haus am Lokstedter Damm, das auch heute noch von der Familie Krüss bewohnt wird.

Seite aus einem Produktkatalog, ca 1885.
Paul Krüss

Die Werkstatt der Firma zog 1921 von der Adoplphsbrücke 7 in die Gertigstraße 31 nach Barmbek, wo sie bis zur Trennung der Firma in die Krüss GmbH und die A. Krüss Optronic GmbH blieb.

Das Haus am Lokstedter Damm 51

Der Schwerpunkt der Firmentätigkeit lag nun vor allem auf der Entwicklung und dem Vertrieb von Spektralapparaten. Paul Krüss musste die Firma durch eine schwierige Zeit führen. Den Ersten Weltkrieg überlebte er als Soldat. Es folgten die Zeit der Inflation und die Weltwirtschaftskrise, die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und der Zweite Weltkrieg.
Nach dem Krieg erhielt Krüss von den britischen Besatzungsbehörden die Erlaubnis, wieder optische Instrumente herzustellen.

Die Produktionserlaubnis der englischen Besatzungsbehörde

Paul Krüss‘ einziger Sohn Andres Krüss hatte nach der Schulzeit am Johanneum zunächst eine feinmechanische Lehre absolviert. Im Krieg arbeitete er als Ingenieur für Hochfrequenz im Institut für Elektrophysik an der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrtechnik in Berlin. Nach seiner Rückkehr 1946 wurde er Geschäftsführer der A. Krüss Optisch-mechanische Werkstätten.

Ziemlich schön und wahnsinnig gefährlich: Ecstasy-Kristalle. Die Oberflächenstruktur wird in dieser Mikroskopaufnahme mit polarisierendem Licht deutlich.

Dank ihres ausgezeichneten internationalen Rufes konnte die Firma bald wieder an die Vorkriegsproduktion anknüpfen und ihre Produktpalette auf neue Gebiete ausdehnen.
Andres Krüss führte die Firma bis 1980. Es folgte die sechste Generation: Während die ältere Tochter Martina Krüss den Betrieb A.Krüss an der Gertigstraße weiterführte, entschied sich die jüngere Marianne Weser (in räumlicher Trennung) als (neu gegründete) Krüss GmbH in Groß-Borstel zu fertigen.

Frauen tragen bis zum heutigen Tag erheblich zum Erfolg der Firma A.Krüss bei. Hier sehen wir Karin Leibrock bei der Arbeit im Labor und Martina Krüss-Leibrock vor einem Teil der Sammlung von historischen Geräten der Firma A.Krüss. Die historischen Dokumente und viele Geräte aus der Geschichte der Firma befinden sich am Firmensitz von A.Krüss Optronic in Altserdorf.
Finaler Funktionstest neuer Geräte

André Schulz