EDITORIAL

Liebe Borsteler,
2019 – ein Jubiläumsjahr: Im März feierte der Bote seinen 100. Geburtstag, und am 31. August 1889, also vor 130 Jahren, wurde der Kommunalverein Groß Borstel gegründet! Nach dem Willen seiner Gründungsväter sollte durch den Verein die „Privattätigkeit“ der Gemeindemitglieder konstruktiv zusammengefasst und organisiert werden, um „das Beste des Ortes zu fördern, Bestrebungen zu unterstützen, welche in dieser Hinsicht von vorteilhaftem Einfluss für den ganzen Ort sein können“. Etwa 1500 Menschen lebten zu der Zeit in 180 Wohnungen auf rund 574 ha Fläche und damit war der Zusatz „Groß“ im Stadtteilnamen etwas übertrieben.

Der Kommunalverein war Motor für die Eingemeindung der Landgemeinde Groß Borstel in die Freie und Hansestadt Hamburg und forderte danach über Jahre die praktische Umsetzung: Post, Straßenbahn, Wegebau, Bahnbau, Badeanstalt, Beleuchtung etc …

Die Verkehrsanbindung Groß Borstels war bereits damals ein wesentliches Problem und wichtigstes Arbeitsgebiet des Kommunalvereins. Unser Dorf lag im toten Winkel durch die angrenzenden preußischen Gemeinden. Die Alsterdampfer endeten in Winterhude, die Straßenbahn in Eppendorf. Die Pläne der Vororts- und Hochbahn machten einen Bogen um Borstel. Der Pferdeomnibus nach Eppendorf wurde aus wirtschaftlichen Gründen 1880 eingestellt, eine Pferdebahn auf Schienen zu teuer, und so initiierte der Kommunalverein 1890 die erneute Gründung einer Pferde-Omnibusverbindung mit Eppendorf – die allerdings 1894 wieder eingestellt wurde. Der Durchbruch kam 1903: Am 30. Mai eröffnete die Elektrische Straßenbahn die Linie 24 bis Groß Borstel. Sie führte von Horn über Rathausmarkt, Kaiser-Wilhelm-Straße und Eppendorf nach Groß Borstel. Aber 1966 war diese wunderbare Errungenschaft wieder vorbei: Die Linie 18, die seit 1954 Borstel an den Rest der Welt angebunden hatte, wurde eingestellt und durch einen Bus ersetzt. Und seitdem liegen wir wieder „im toten Winkel“.

Zur Friedenseiche. Endstation der Linie 24. Heute besser bekannt als Station Warnckesweg.
Schmucker Magirus Deutz Bus in den 60ern.

Da der Kommunalverein immer das Ohr am Puls der Zeit hatte, kämpfte er 1909/1910 vehement dafür, dass der Luftschiff-Hafen in Groß Borstel statt in Horn gebaut wurde. Er gewann diesen Kampf, und so wurde 1911 die Hamburger Luftschiff-Hallen GmbH gegründet. Die Halle mit den Maßen 160 m x 45 m x 30 m hatte Platz für zwei Luftschiffe und kostete 559.000 Mark. 45 ha konnten vom Staat für den Flugplatz an der Alsterkrugchaussee nördlich der Rennbahn für jährlich 3 Mark auf 30 Jahre gepachtet werden. Da der Flugplatz parallel durch Flugzeuge genutzt wurde, musste er schon 1913 durch weitere 40 ha erweitert werden – auf dem Gebiet von Fuhlsbüttel; denn die Borsteler Bürger verlangten zu hohe Preise für ihre Grundstücke! 1925 bis 1933 wurde der Flughafen Fuhlsbüttel, wie er nun hieß, intensiv ausgebaut und ab 1939 Militärstützpunkt.

1964 war die Verlängerung der zwei Landebahnen für die Nutzung der Düsenflugzeuge auf Betreiben der Handelskammer abgeschlossen. Rund 40 % des ursprünglichen Borsteler Gebiets war dem Flughafen damit seit seiner Gründung bis 2011 zum Opfer gefallen.

Architekturmodell des geplanten Großflughafens Kaltenkirchen

In den 1960er Jahren begannen die Planungen zur Verlegung und zum Bau des Großflughafens Kaltenkirchen, da die Lärmbelastung durch die aufkommenden Düsenflugzeuge für die Bevölkerung des Hamburger Stadtgebiet nicht akzeptabel erschien. 1983 wurde das Projekt Kaltenkirchen unter Bürgermeister Klaus von Dohnanyi begraben; schon der Senat unter Hans-Ulrich Klose befürchtete, dass mit den dort entstehenden Arbeitsplätzen auch die Steuereinnahmen ins schleswig-holsteinische Umland abwandern könnten. Außerdem regte sich Widerstand in Schleswig-Holstein gegen die Belastung durch einen Flughafen. Und so beglückt der 2016 in „Hamburg Airport Helmut Schmidt“ umbenannte Flughafen die Hamburger mit kurzen Wegen zum Flieger und Lärm und Emissionen.

1913 übernahm der Kommunalverein auf Bitten des Schuldirektors Lühning die von ihm gegründete Borsteler Volksbibliothek. Untergebracht war sie damals in der Schule Borsteler Chaussee 127-129, und sie wurde fleißig genutzt. Die Nazi-Zeit machte jedoch auch vor Groß Borstel nicht halt. Im Protokoll der Mitgliederversammlung des KV am 20.7.1939 heißt es: „… dass es heute Schwierigkeiten bereitet, brauchbare Bücher für die Bücherei anzuschaffen, da die politische Richtung, auf die Rücksicht genommen werden muss, sich mehrfach geändert hat.“

1996 erschien die Bücherhalle Groß Borstel – erneut – auf einer Liste von Hamburger Öffentlichen Bücherhallen, die geschlossen werden sollten. Die Borsteler Bürger kämpften mit allen Mitteln um den Erhalt ihrer Bücherhalle. Sie wurde dennoch 1998 geschlossen, nachdem die Einrichtung einer ehrenamtlich betriebenen Buchausgabestelle konsequent von den Borsteler Bürgern abgelehnt worden war. Die Forderung nach einer fachkundig geführten Öffentlichen Bücherhalle blieb unverändert bestehen.

Auszug aus dem Artikel „Dummland
Hamburg“ aus DIE ZEIT vom 24.01.1997
Als die Freie und Abrißstadt 1954 ihr Stavenhagenhaus, einen 300 Jahre alten Herrensitz, dem Erdboden gleichmachen wollte, setzten die Groß Borsteler sich zur Wehr: Jetzt ist das Haus kulturelles Zentrum des Stadtteils, leicht zu erreichen für alle. Der vor über hundert Jahren gegründete Kommunalverein Groß Borstel hat schon 1913 eine öffentliche Bücherei gegründet, die nun – wie viele andere – geschlossen werden soll. Da gründen die Groß Borsteler sofort einen Verein: Bücherhalle Groß-Borstel – Ja, bitte!, beschaffen sich niedrigeren Mietpreis und einen Sponsor (Mobil-Media) und bieten eine Kürzung von drei auf zwei Öffnungstage an. Doch wo eine Behörde ist, ist kein Weg. Es soll bei der Schließung und dem Verschleudern von Büchern bleiben. Demokratie von oben!

Das Stavenhagenhaus erscheint zum ersten Mal im Januar 1954 auf der Titelseite des Borsteler Boten und verweist auf die Aufgabe des Kommunalvereins: „… bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber der Neuzeit doch die Erinnerung an das Althergebrachte aufrechtzuerhalten und im Bewusstsein der Gegenwart lebendig zu erhalten. Dazu bietet der Bezug auf das traditionsreiche Herrenhaus mit seinem würdigen Alter von 250 Jahren einen vorzüglichen symbolischen Hinweis.“ Und die vom Kommunalverein vertretenen Bürger Groß Borstels lassen selbst nicht locker und streiten bis zum letzten für den Erhalt des „Herrenhauses“. Durch die Beteiligung der gesamten Borsteler Bevölkerung und einer Eingabe an den Senat wurde das Denkmalschutz-Amt überzeugt und der amtierende Bürgermeister Brauer gewonnen, das Haus mit Toto-Geldern wiederaufzubauen.

Renovierungsarbeiten Anfang der 1960er Jahre

Am Mittwoch, 17.10.1962 fand die „Festliche Mitgliederversammlung des Kommunalvereins zur Einweihung des Stavenhagenhauses“ statt. Und seitdem findet an jedem zweiten Mittwoch im Monat die Mitgliederversammlung des Kommunalvereins im Stavenhagenhaus statt. Die Freunde des Stavenhagenhauses gründeten sich als gemeinnütziger Verein 1963 mit dem Ziel, das Stavenhagenhaus seiner Bestimmung gemäß als kulturellen und gesellschaftlichen Mittelpunkt Groß Borstels zu nutzen. Der Verein der „Freunde“ stellt somit eine wesentliche Ergänzung zu den Aktivitäten des Kommunalvereins dar. Ein- bis zweimal pro Monat veranstalten die „Freunde“ eine Musikveranstaltung oder einen Vortrag – seit 56 Jahren!

Der Wunsch vieler Borsteler, das Stavenhagenhaus auch außerhalb von Veranstaltungen und Arbeitskreisen für alle Bürger zu öffnen, bleibt für die Zukunft genauso auf der Agenda des Kommunalvereins, wie die verkehrliche gute Anbindung und die Reduzierung des Verkehrs auf der Borsteler Chaussee, die unser schönes Dorf als Durchfahrtstraße zerschneidet. Das und viele andere Themen bieten genug Stoff für die nächsten 130 Jahre Kommunalverein Groß Borstel!

Immerhin haben wir erreicht, dass Bezirksversammlung und Bezirksverwaltung unser Anliegen ernst nehmen, und für Groß Borstel das RISE-Programm (Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung) eingeworben haben.

Am Donnerstag, 15. August gibt es den ersten Beteiligungsworkshop zur Umsetzung des RISE-Programms für Groß Borstel. Alle Groß Borsteler sind aufgerufen, ihre Vorstellungen dort einzubringen.

Wir sehen uns in der Aula der Carl-Götze-Schule am 15.8.2019 um 19.00 Uhr!

Herzlich
Ihre Ulrike Zeising

In diesem Editorial habe ich viele Textstellen und Zitate aus dem Buch „Groß Borstel – vom Dorf zum Stadtteil“ übernommen. Es wurde zum 100jährigen Bestehen vom Kommunal-Verein von 1889 in Groß Borstel r.V. herausgegeben und ist eine sehr spannende Lektüre.

BUs:

Zur Friedenseiche. Endstation der Linie 24. Heute besser bekannt als Station Warnckesweg.

Schmucker Magirus Deutz Bus in den 60ern.

Architekturmodell des geplanten Großflughafens Kaltenkirchen

Renovierungsarbeiten Anfang der 1960er Jahre

In diesem Editorial habe ich viele Textstellen und Zitate aus dem Buch „Groß Borstel – vom Dorf zum Stadtteil“ übernommen. Es wurde zum 100jährigen Bestehen vom Kommunal-Verein von 1889 in Groß Borstel r.V. herausgegeben und ist eine sehr spannende Lektüre.