DIE LETZTE REISE DER CONDOR

RESTAURIERUNG EINES FLUGZEUGWRACKS

Leutnant Werner Thieme startete um 8.09 Uhr von Vaernes/Norwegen aus zu einem Aufklärungsflug über die Ostküste Islands. Die Maschine, die er flog, war die legendäre Focke-Wulf Fw 200 Condor, ein bildschönes, ursprünglich für den Atlantikflug konzipiertes, viermotoriges Propellerflugzeug, übrigens die erste komplette Aluminiumkonstruktion eines Flugzeuges und das allererste landgestützte Passagierflugzeug, das es schaffte, den Atlantik nonstop zu überqueren. Die vier Bramo-Motoren mit jeweils 1000 PS brummten ruhig. Der Flug, den der erfahrene Thieme zusammen mit dem Leutnant und 2. Piloten Wolfgang Tonn leitete, verlief problemlos wie gewohnt. Mit an Bord: ein Mechaniker, zwei Funker, ei n Bordschütze. Als sich die Crew nach einer Flugzeit von fast zehn Stunden und einer Strecke von 2900 Kilometern auf die Landung auf den von den Deutschen besetzten Flughafen der Kleinstadt Vaernes (heute Trondheim Lufthavn) vorbereitete, ging jedoch plötzlich alles schief. Eine Landeklappe klemmte, konnte nicht ausgefahren werden. Das Flugzeug geriet im Landeanflug bei einer Flughöhe von nur noch 150 Metern in eine instabile Lage. Den beiden Flugzeugführern gelang es jedoch, die plötzlich außer Kontrolle geratene Maschine zu stabilisieren. Die Landung auf dem nur noch sieben Meilen entfernten Flughafen war dennoch nicht mehr zu schaffen. Thieme drehte ab und notwasserte am 22. Februar 1942 um 17.53 Uhr in einer kleinen Bucht namens Stjordalfjorden. Das Flugzeug schlug mit sehr großer Wucht zunächst mit dem Heck und sodann mit dem Rest des Rumpfs aufs Wasser. Es sank innerhalb von vier bis sechs Minuten. In dieser kurzen Zeit gelang es der Crew, sich in ein für Notfälle dieser Art mitgeführtes Schlauchboot zu retten. Sie wurde eine halbe Stunde später von einem zufällig vorbeikommenden Hafen Patrouillenboot auf-genommen und versorgt. Alle sechs Crewmitglieder haben überlebt.

Etwa vierzig Jahre nach der Notwasserung konnte das Wrack geortet werden. Es vergingen weitere achtzehn Jahre bis zur Bergung am 26. Mai 1999. An der Bergung damals und an der wenig später gestarteten Re-konstruktion der Fw 200 Condor beteiligt war Günther Georgs (81).

Kurz vor dem Absetzen des geborgenen Wracks
brach das Flugzeug auseinander.

Heute sitzt er, wie jeden Mittwoch, im Werkstattraum eines Gewerbekomplexes in der Groß Borsteler Oben-hauptstraße. Zusammen mit noch zehn ehemaligen Lufthansatechnikern erledigen sie Restarbeiten. Die Aufgabe, die sie sich vor zwanzig Jahren vorgenommen haben, ist fast beendet. Zum Ende des Jahres 2020 ist die Rekonstruktion abgeschlossen, und die von den Hamburger Kollegen gefertigten restlichen Heck- und Leitwerkteile werden an das Deutsche Technikmuseum nach Berlin geliefert.

Von der Presse liebevoll als „Rentner-Gang“ bezeichnet: die
Restauratoren vor einem ihrer Leitwerkteile.

Dort werden die Teile mit dem Rumpf, der in den ehemaligen Focke-Wulf-Werk in Bremenrekonstruiert wurde, und mit originalgetreuen Flugzeugmotoren von Rolls Royce aus Oberursel zusammengefügt. Günther Georgs hatte von der Entdeckung der abgestürzten Fw 200 gehört, als er gerade in Norwegen mit norwegischen Luftfahrtenthusiasten eine alte Junkers JU 52 restaurierte. Georgs ist einer der wenigen JU 52-Kenner. Zehn Jahre lang besuchte er im Urlaub seine norwegischen Kollegen, stand mit Rat und Tat zur Seite, half bei der Restauration, übersetzte aus deutschen Konstruktionsplänen, unterstützte die Norweger bis die alte Tante Ju schließlich fertig war. Im Gegensatz zur Junkers ist das Wrack der Condor ein Einzelstück. Eines von 276 in der Zeit von 1937 bis 1944 gebauten Exemplaren. Es gibt keine zweite Fw 200 Condor. Für Günther Georgs und Kollegen war deshalb klar, das Wrack dieser einzigartigen Maschine musste wiederbelebt werden. Zwar konnte das Flugzeug nicht wieder flugtüchtig hergestellt werden, das wäre nach heutigen Maßstäben kaum möglich gewesen. Ziel war es deshalb von Anfang an, ein möglichst originalgetreues Exemplar für das Deutsche Technikmuseum zu bauen, und zwar in Kooperation mit Airbus Deutschland, Rolls Royce Deutschland und der Deutschen Lufthansa Berlin Stiftung.

Die Lufthansa Condor „Brandenburg“ auf dem Floyd-Bennett-Field in New York City Anfang August 1938

Das allererste Exemplar der Condor ist nach nur einem Jahr Planung und Entwicklungszeit am 27. Juli 1937 zum erfolgreichen Erstflug gestartet. Die Lufthansa gab damals sofort eine komplette erste Serie in Auftrag. Ein Jahr später flog die Fw 200 als erstes landgestütztes Passagierflugzeug nonstop die 6371 Kilometer lange Strecke von Berlin nach New York. Sie brauchte dafür 24 Stunden, 56 Minuten. Der Rückflug benötigte naturgemäß weniger Zeit: 19 Stunden, 55 Minuten.

Danish Air Line setzte eine Fw 200 Condor im Europa-Verkehr
ein, hier vor einer Junkers Ju 52 der Sabena und zwei Douglas
DC-3 der KLM auf dem Flughafen Schiphol 1938. In Vorbereitung des Krieges wurde die Condor in Deutschland zum
bewaffneten Fernaufklärer weiterentwickelt.
Die Rekonstruktion der stählernen Fahrwerksmechanik ist ein
Meisterwerk
Das Bespannen der Tragwerke verlangt virtuose Handarbeit

Für Günther Georgs und Kollegen ging die Arbeit an der Condor zum Jahresende 2020 zu Ende. 20 Jahre haben sie sich in der von der Deutschen Lufthansa Berlin Stiftung angemieteten Halle in Groß Borstel getroffen und gemeinsam an der Rekonstruktion gearbeitet. Immer mittwochs von neun bis siebzehn Uhr. Wenn Georgs von den technologischen Meisterleistungen der Fw 200-Konstrukteure erzählt, leuchten seine Augen. „Allein das Fahrwerk mit den Fahrwerksklappen! Bei der Landung gehen die Fahrwerksklappen auf, dann wird das Fahrwerk herabgelassen und eingerastet, die Klappen schließen dann wieder. Heute werden, etwa beim Airbus, die Fahrwerke elektrohydraulisch ausgefahren. Da ist die Steuerung weniger problematisch.

Bei der Condor geht das alles mechanisch. Bei der Condor musste nach dem Ausfahren des Fahrwerks die Klappe wieder zugefahren werden. Dazu brauchte es eine rein mechanischen Steuerung, die zeitversetzt arbeiten konnte, und den Vorgang vollautomatisch erledigt. Das waren noch Könner, die Konstrukteure!“ Nicht weniger begabt gingen die bis zu 25 Hamburger Luftfahrtrentner und einige noch berufstätige Luftfahrttechniker ans Werk. Es gab keinerlei Konstruktionspläne. Alles mussten sie aus einem Haufen Aluminium- und Magnesiumschrott und ein paar alten Fotos von den Originalmaschinen rekonstruieren. Sämtliche Pläne mussten zunächst neu erstellt werden, jedes einzelne Teil nachgefertigt werden. Das Material holten sie sich von Überschussmaterial und Resten aus der Airbusproduktion. Das Werk stellte auch ausgemusterte Metallbearbeitungsmaschinen zur Verfügung, die die Rentner wiederaufarbeiten konnten und für die Produktion nutzten. Nach und nach wurde die Condor fertig. Die letzte Reise der Condor verlief planmäßig Ende 2020, die rekonstruierte Maschine wird demnächst komplettiert im Technikmuseum Berlin zu bewundern sein.

Uwe Schröder

Lange Jahre führte Revell die Fw 200 als Modellbausatz,
einige Jahre auch als Zivilmaschine.