Das Stavenhagenhaus in der Franzosenzeit

Das Stavenhagenhaus ist das Prunkstück von Groß Borstel, das älteste Haus im Ort und das kulturelle Zentrum. Gebaut hat es 1703 der Hamburger Kaufmann und Politiker Eibert Tiefbrunn. Über dem Haupteingang des Frustberghauses, den Namen Stavenhagenhaus erhielt es erst sehr viel später, ließ Eibert Tiefbrunn sein Familienwappen einmeißeln. Es ist dort immer noch zu sehen. Fast 80 Jahre blieb der Hof im Besitz der Familie Tiefbrunn. 1790 wurde das Anwesen von einem Erben versteigert und drei Jahre später von der Witwe Elisabeth Gossler aus der Bankiersfamilie Berenburg-Gossler gekauft. Das 1590 gegründete Bankhaus existiert immer noch und ist die älteste Bank Deutschlands. Elisabeth Gossler nutzte das Stavenhagenhaus zunächst als Sommersitz. Als 1806 die Franzosen Hamburg besetzten, zog sie ganz hierher. Für Hamburg und seine Bewohner brachen schwere Zeiten an.

Nach der Französischen Revolution von 1792 war das europäische Machtgefüge in Unordnung geraten. In den sogenannten Koalitions- oder Napoleonischen Kriegen sah sich Frankreich wechselnden Bündnissen feindlicher Mächte gegenüber und besetzte im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzungen einen großen Teil des europäischen Kontinents. Die Franzosen drückten den besetzten Ländern ihren Stempel auf und versuchten eine politische Neuordnung Europas durchzusetzen. Hamburg hatte sich mit den deutschen Nordstaaten für neutral erklärt, war aber der wichtigste Umschlagplatz für Europas Handel mit England. Deshalb ließ Napoleon die Stadt am 19. November besetzen und verbot den Handel mit England. Alle englischen Waren wurden beschlagnahmt und verbrannt. Viele Betriebe gingen bankrott. Durch hohe Kontributionsforderungen und kreative Steuern, zum Beispiel auf Fenster und Türen, wurden die Hamburger Bürger zusätzlich belastet. Die Bevölkerung war Bespitzelungen und Repressalien ausgesetzt. Zeitungen mussten nun zweisprachig erscheinen und in den Schulen musste Französisch gesprochen werden. Die Franzosen führten einige Reformen und Neuerungen ein. Nicht alle waren erfolgreich. Der Versuch, das Hamburger Münzsystem von 1 Mark zu 16 Schillingen und 1 Schilling zu 12 Pfennigen durch ein übersichtliches Dezimalsystem zu ersetzen, scheiterte. Aber das französische Zahlenlotto fand auch in Hamburg großen Zuspruch.

Elisabeth Gossler musste im Frustberghaus Einquartierungen von französischen Offizieren hinnehmen.

Mit Beginn der Besetzung verlegte Elisabeth Gossler ihren Wohnsitz ganz nach Groß Borstel auf den Frustberg und ließ das Haus ausbauen, um hier Verwandte unterzubringen, die nicht mehr in Hamburg leben wollten. Aber die Folgen der Besatzung reichte auch bis in das Hamburger Land. 1806 und 1807 und noch einmal 1810 musste Elisabeth Gossler im Frustberghaus Einquartierungen von französischen Offizieren hinnehmen. 1810 gliederten die Franzosen Hamburg und Umgebung in ihr Kaiserreich ein. Hamburg wurde zur Hauptstadt des neuen „Département Bouches de l’Elbe“ (Departement der Elbmündung). Das nun ebenfalls französische Dorf Groß Borstel war Teil der fünften Marie des ländlichen achten Kanton Hamm.

Die Niederlage der Grande Armée 1812 in Russland war der Anfang vom Ende der französischen Herrschaft über Europa. Die Russen und ihre Verbündeten rückten den fliehenden Franzosen nach, und als sie auf Hamburg zumarschierten, gab es am 24. Februar 1813 einen Aufstand gegen die Besatzer. Angesichts der anrückenden Russen verließen die letzten Franzosen am 12. März 1813 Hamburg. Ein paar Tage später ritt Oberst Friedrich Carl von Tettenborn mit einem Korps Kosaken als Vorhut einer Koalitionsarmee in Hamburg ein.

Kosaken in Hamburg
Gewaltsame Austreibung der Bürger aus Hamburg im Winter 1813

Nun erlebte Groß Borstel und das Frustberghaus Einquartierungen von russischen Offizieren. In der Begegnung der Kulturen kam es zu manchem Missverständnis. Man erzählte sich, dass die Kosaken sich die angebotene Butter ins Haar strichen. Und die frei laufenden Hunde der Umgebung landeten nach und nach in ihren Kochtöpfen.

Die Befreiung war nur von kurzer Dauer. Die Franzosen kamen bald mit Verstärkung zurück, nahmen Hamburg im Juni 1813 erneut ein und bauten die Stadt zu einer Festung aus. Hamburger Bürger wurden dafür zur Zwangsarbeit verpflichtet und unzählige Häuser vor der Stadt abgebrannt, um freies Schussfeld zu haben. Viele Hamburger wurden obdachlos. Am ersten Weihnachtstag 1813 vertrieben die Besatzer 20.000 Hamburger aus der Stadt. Einige Tausend Hamburger Bürger kamen um. Während der folgenden Belagerung durch die Koalitionsarmee brachen in der Stadt zudem Seuchen aus. Ende Mai 1814 rückten die Franzosen dann für immer ab.

Das Schicksal Napoleons und seiner Armee entschied sich endgültig am 18. Juni 1815 in der Schlacht bei Waterloo, an der auch Hamburger in der „Hanseatischen Legion“ beteiligt waren. Generalfeldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher erschien mit seinem preußischen Heer gerade rechtzeitig, um das Koalitionsheer zu verstärken. Auf Einladung der Familie Berenburg besuchte Blücher vom 12. bis 22. September 1816 Hamburg und war im Rahmen des Besuchs auch Gast im Groß Borsteler Frustberghof. 

Im Herrenhaus am Frustberg kehrten nun wieder ruhigere Zeiten ein. 1822 kauft Christian Wilhelm Albrecht Schröder den Frustberghof. Er war mit Fanny Heine verheiratet, Tochter von Salomon Heine und Cousine von Heinrich Heine. Nach Dr. Schröders Tod 1872 erbte sein Enkel Dr. jur. Otto Nanne den Hof. Nach und nach verkaufte Dr. Nanne Stücke des Grundstückes. 1906 erwarb August Herbst den Frustberghof. 1921 verkaufte August Herbst den Frustberghof, den er in mehrere Mietwohnungen aufgeteilt hatte, an die Stadt Hamburg.

Das Haus wurde 1937 unter Denkmalschutz gestellt, aber im Laufe der Zeit verfiel es immer mehr und war nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr bewohnbar. Der Kommunalverein setzte sich erfolgreich für den Erhalt ein. 1960-62 wurde das Haus aufwendig saniert und in Erinnerung an den Mundartdichter Fritz Stavenhagen, der bis zu seinem frühen Tode 1906 in der Königstraße, jetzt Stavenhagenstraße, gewohnt hatte, „Stavenhagenhaus“ genannt. Die Mittel für die Sanierung, 600.000 D-Mark, kamen von der Lotto-und Totostiftung. Wir erinnern uns: Das Zahlenlotto hatten seinerzeit die Franzosen in Hamburg eingeführt.

André Schulz