VÖGEL IN GROSS BORSTEL: Der Mauersegler

Wer vom Kellerbleek kommend den Tarpenbek-Wanderweg in Richtung Osten geht und über die Kleingärten hinweg auf die Rückseite der Häuser Geesmoor schaut, hat sie bestimmt schon entdeckt: die vielen unter den Dachtraufen angebrachten Nisthilfen.

Sie sind eine Ausgleichsmaßnahme für in Dachgauben oder Mauerlöchern durch Bau- oder Sanierungsvorhaben verloren gegangene Nistplätze. Dabei weist die besondere Form der Einfluglöcher – viel breiter als hoch – darauf hin, dass diese Nistkästen in erster Linie einem ganz außergewöhnlichen Vogel angeboten werden: dem Mauersegler.

Auch deshalb sind diese unglaublich schnellen und wendigen Flugkünstler regelmäßig am Himmel über Groß Borstel zu sehen – über den Kleingärten an der Tarpenbek, dem Brödermannsweg oder dem Flughafen – immer abhängig davon, wo gerade Insektenschwärme auftreten. An diesen Orten verstärkten Insektenvorkommens finden sich die Mauersegler in Trupps zusammen und gehen mit beeindruckenden Flugkünsten bei rasanten Geschwindigkeiten von weit über 100 km/h auf die Jagd.

Der in ganz Europa verbreitete Mauersegler gehört zur Familie der Segler (Apodidae), der auch Alpensegler, Fahlsegler und Haussegler angehören. Von diesen ist nur der Alpensegler ebenfalls in Deutschland heimisch, jedoch – wie der Name schon sagt – nur im Alpenraum.
Mauersegler zeigen eine enge Bindung an menschliche Siedlungen, sind typische Stadtbewohner. Die Höhlenbrüter nisten bevorzugt an Gebäuden und in Felsspalten, aber auch in Nistkästen und alten Bäumen. Mitunter werden die Vögel mit Schwalben verwechselt. Dabei lassen sie sich recht gut von diesen unterscheiden, da Mauersegler mit 38 bis 44 cm eine um etwa 10 cm größere Flügelspannweite sowie eine einheitlich dunkle Unterseite mit hellem Kehlfleck haben.
Die Flügelsilhouette der Mauersegler ähnelt einer Mondsichel und oft bewegen sich die Vögel im schnellen Gleitflug voran. Ihr Schwanz ist kurz und viel weniger gegabelt als der der Schwalben. Und tatsächlich stehen Mauersegler biologisch dem Kolibri näher, worauf auch ihre langen, schmalen und sichelförmigen Flügel mit langem Handflügel und sehr kurzem Armflügel hinweisen.

Absolut einzigartig macht den Mauersegler sein „Leben im Flug“. Die sehr kurzen Füße eignen sich kaum zum Stehen, sodass diese Vögel nahezu ihr ganzes Leben in der Luft verbringen. Sogar Paarung und Schlaf finden im (Segel-)Flug statt. Lediglich zum Auspolstern der Bruthöhle sowie zum Brüten und Großziehen der Jungen landen sie. Dabei besteht das Material zum Auspolstern aus leichten Halmen, Blättern, Haaren oder Federn und wird – ebenso wie die aus Insekten bestehende Nahrung – ausschließlich im Flug eingesammelt.
Zwar eignen sich die Füße des Mauerseglers wenig zum Gehen und Stehen, besitzen aber äußerst scharfe Krallen. Allesamt nach vorn gerichtet, sind sie nicht nur eine wirksame Waffe gegen Konkurrenten, sondern sorgen auch für sicheren Halt an senkrechten Fels- oder Mauerwänden.

In Hamburg erstreckt sich die Brutzeit der Mauersegler von Anfang Mai bis Mitte August. Die Brutdauer beträgt bis 20 Tage, bei schlechtem Wetter bis 27 Tage. Auch die Entwicklung der Nestlinge ist stark witterungsabhängig und kann daher zwischen 37 und 56 Tagen schwanken. Dabei ist ungewöhnlich, dass die Nestlinge in Schlechtwetterperioden ohne Elterntiere und ohne Nahrung mehrere Tage – ältere Nestlinge über eine Woche – überleben! Dafür werden in dieser Zeit Atemfrequenz und Körpertemperatur erheblich vermindert, die Nestlinge fallen in eine Art Schlaf.
Zwischen Mitte Juli und Ende August begeben sich die Mauersegler auf den langen Flug in ihre Überwinterungsgebiete im mittleren und südlichen Afrika. Aufsteigende Luftströmungen für den Start der langen Reise benötigen Mauersegler, im Gegensatz zu Störchen oder Kranichen, nicht. Daher können sie die bis zu 10.000 Kilometer lange Reise zu jeder Tages- und Nachtzeit beginnen, während der sie bei guter Witterung eine Flughöhe von bis zu 3.000 Meter schaffen. Westafrika und die Sahara erreichen die ersten Mauersegler bereits im August, die Winterquartiere im südlichen Afrika aber frühestens Ende Oktober.
Da sich fast ihr ganzes Leben in der Luft abspielt, sie sogar den Schlaf im Gleitflug in oberen Luftschichten verbringen, legen Mauersegler geschätzte 190.000 Kilometer pro Jahr zurück.

Mauersegler stehen zwar noch nicht auf der Liste der bedrohten Tierarten, doch nimmt ihr Bestand nicht nur in Hamburg seit Jahren besorgniserregend ab. Der Grund liegt vor allem in dem bereits erwähnten Wegfall geeigneter Brutgelegenheiten. Um auf dieses Problem hinzuweisen, hatte der NABU Hamburg vorgeschlagen, den Mauersegler zu Deutschlands „Vogel des Jahres 2021“ zu küren. Aber die entscheidende öffentliche Stichwahl gewann bekanntlich das Rotkehlchen. Der Mauersegler landete in der Vorwahl abgeschlagen auf Platz 27 und schaffte es somit nicht einmal in die Stichwahl. Kleiner Trost: Die Spanier wählten ihn zum „Vogel des Jahres 2021“.

Den wundervollen Flug der Mauersegler hatte der französische Naturwissenschaftler, Dichter und Schriftsteller Jean-Henri Fabre (1823 – 1915) in folgenden Worten geschildert: „Wie räumen die Mauersegler unter den Insekten der Dämmerung auf, wenn ihre aufgeregten Scharen endlos im Kreis hin- und herfliegen, in der Heiterkeit des rötlichen Abendhimmels, wenn die Sonne untergeht! Was für ein Ungestüm im Flug! Was für überraschende Wendungen im Raum! Welche Lebhaftigkeit!“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Text und Fotos: Michael Rudolph