VÖGEL IN GROSS BORSTEL

DER MÄUSEBUSSARD

Ist über Groß Borstel ein Greifvogelruf zu hören, der wie „hiäääh“ klingt und damit ein bisschen an das Miauen einer Katze erinnert, dann zieht ein Mäusebussard am Hamburger Himmel seine Kreise. Beim Namen interessant: Die Etymologie des 19. Jahrhunderts leitete die Bezeichnung Mäusebussard fälschlich aus den mittelhochdeutschen Wörtern „Buse“ (Katze) und „Aar“ (Adler) ab und sprach infolgedessen sogar vom „Katzenadler“. Hingegen hat das Wort Bussard – nach heutiger Lehrmeinung – in dem lateinischen Wort „buteo“ (Greifvogel) seinen Ursprung.

In der Familie der Habichtartigen zählen weltweit 27 Arten zur Gattung der Bussarde, verteilt auf alle Kontinente außer Australien. Dabei kommen in Europa jedoch nur drei Arten vor: Mäusebussard (Buteo buteo), Raufußbussard (Buteo lagopus) und Adlerbussard (Buteo rufinus). Der Wespenbussard (Pernis apirorus) trägt zwar ebenfalls das Wort Bussard im Namen und hat auch eine gewisse Ähnlichkeit, bildet jedoch eine eigene Unterfamilie, in der nur er vertreten ist.

In Groß Borstel heimisch ist allein der Mäusebussard. Der in Nordskandinavien brütende Raufußbussard (dessen Fänge im Gegensatz zum Mäusebussard bis zu den Zehen befiedert sind) ist hier allenfalls als Durchzügler bzw. Wintergast zu beobachten. Der Adlerbussard lebt nur in Steppen, Wüsten und auch Bergregionen Südosteuropas, Nordafrikas und Vorderasiens.

Mäusebussarde sind gut zu erkennen an ihrem kompakten Körper, dem großen Kopf auf kurzem Hals, den breiten Flügeln mit fünf „Fingern“ an den Enden, dem mittellangen Schwanz mit abgerundetem Ende und dem kurzen Greifvogelschnabel. Sie erreichen eine Länge von 51 bis 57 cm und eine Flügelspannweite von 113 bis 128 cm. Ausgewachsene Männchen wiegen zwischen 622 und 1183 g, die etwas größeren Weibchen 782 bis 1364 g. Die Ursache für diese große Spanne liegt in den erheblichen Gewichtsschwankungen im Jahresverlauf. So werden im Zeitraum nach der Brut bis zum Winter Fettreserven angefressen, die dann am Ende eines schneereichen Winters nahezu völlig verbraucht sind.

Fast einzigartig in der Vogelwelt Mitteleuropas sind die sehr variablen Gefiederfarben der Mäusebussarde – von fast weiß bis dunkelbraun sind alle Schattierungen vertreten. Nur der Kampfläufer zeigt sich noch variabler.

Die Flügelspitzen sind fast immer dunkel, der Schwanz ist durchgehend eng gebändert und der Brustlatz meist längsgestreift, selten einfarbig. Die Unterschenkel sind gefiedert, beide Geschlechter tragen also sozusagen Hosen.

Mäusebussarde sind standorttreu, nur skandinavische Individuen sind Teilzieher und überwintern in Mitteleuropa. Die mit 6335 km weiteste Wanderung eines Mäusebussards konnte anhand eines in Nordschweden beringten Vogels nachgewiesen werden. Er wurde im westafrikanischen Togo wiedergefunden.

Lebensräume des Mäusebussards sind offene Landschaften wie Wiesen, Äcker, Heide und Feuchtgebiete mit angrenzenden Wäldern. Bei der Nistplatzwahl werden Waldränder bevorzugt, seltener das Waldinnere. Als Kulturfolger hat der Bussard aber auch Städte als Lebensraum erobert und bevorzugt hier als Standort des Horstes vor allem Parkanlagen und Friedhöfe, durchaus auch in Nachbarschaft zur Wohnbebauung.

Mäusebussarde sind ab einem Alter von zwei bis drei Jahren geschlechtsreif. Wegen ihrer großen Reviertreue können Brutpaare ein Leben lang zusammenbleiben. Die großen Vögel erreichen ein Alter von bis zu 26 Jahren.

Während der Balz ab Mitte Februar vollführen Bussard-Paare Balzflüge über dem Brutrevier. Sie segeln gemeinsam Kreise und stoßen dabei wiederholt ihre markanten Rufe aus. Es schließt sich mehrmaliges Steigen und Fallen an, das mit einem Sturzflug zum Nest endet. In das Brutrevier eindringende, fremde Mäusebussarde werden mit hoher Geschwindigkeit angeflogen und mit kräftigen Flügelschlägen vertrieben. Auch Menschen, die dem Horstbaum zu nahe kommen, versucht der Bussard zu vertreiben. Er fliegt den Eindringling an oder überfliegt ihn und attackiert dabei den höchsten Punkt, also das Schädeldach. Deshalb ist ein sofortiger Rückzug ratsam, zudem sollte man in der nächsten Zeit die Nähe des den Horst tragenden Baumes meiden. Denn bei der Verteidigung des Nistplatzes unterscheidet der Bussard nicht zwischen Tier und Mensch. Die unmittelbare Nähe des Nestbereiches wird geschützt, und wer ihm zu nahe kommt, wird vertrieben, egal ob Fuchs, Marder oder eben Mensch. Es handelt sich um ein ganz normales und arttypisches Verhalten während der Brutzeit und insbesondere, wenn die Jungen gerade geschlüpft sind.

Den knapp einen Meter breiten und mehrere Jahre genutzten Horst bauen die Alttiere aus Ästen, Gräsern, Rinde, Laub und Haaren. Die Eiablage findet ab Mitte März bis etwa Ende April statt. Die Eier werden im Abstand von bis zu drei Tagen gelegt. Die Gelege bestehen aus ein bis vier Eiern, meist sind es aber zwei bis drei. Die Brutdauer beträgt 33 bis 35 Tage, und nach dem Schlüpfen bleiben die jungen Mäusebussarde 42 bis 49 Tage im Horst. Dann sind sie zwar flügge, halten sich aber in dieser „Bettelflugphase“ noch sechs bis zehn Wochen in Bäumen um den Horst herum auf und werden dort von den Eltern versorgt, bis sie schließlich selbstständig sind. Nur etwa die Hälfte der ausgeflogenen Jungvögel überleben das erste Jahr. Ein Großteil kommt durch Unfälle ums Leben, insbesondere durch Kollisionen mit Windkraftanlagen, Überlandleitungen, Bahn- und Straßenfahr[1]zeugen. Auch Abschüsse und Nachstellungen kommen heute noch vor. Mäusebussarde unterliegen zwar in Deutschland dem Jagdrecht, haben aber eine ganzjährige Schonzeit gemäß EU-Vogelschutzrichtlinie. Der Bestand gilt nicht als gefährdet, er hat sich in Hamburg in den letzten zwanzig Jahren sogar verdoppelt und mit zurzeit 360 Brutpaaren ist der Mäusebussard mit Abstand der häufigste Greifvogel in unserer Hansestadt.

Seine Beute erspäht der Mäusebussard in der Luft rüttelnd – also mit schnellen Flügelschlägen in der Luft stehend –, meist jedoch bei der Ansitzjagd, bei der er, auf Bäumen oder Pfählen sitzend, mit seinen scharfen Augen den Boden absucht. Im Sturzflug schießt er hinunter und bremst über der Beute scharf ab, indem er Flügel und Schwanzfedern aus[1]breitet. Mit den langen, spitzen Krallen seiner Fänge packt und tötet er die Beutetiere. Seine Hauptnahrung besteht dabei aus Mäusen, jungen Kaninchen und anderen Kleinsäugern, sowie aus Vögeln, Schlangen, Eidechsen, Fröschen, Regenwürmern und Insekten. Auch Aas verschmäht der Mäusebussard nicht. So sieht man ihn häufig auf Pfählen und niedrigen Bäumen an Autobahnen und Landstraßen verharrend auf Aas warten. Kleine Beutetiere werden komplett verschlungen und landen zunächst im Kropf. Schließlich lösen im Magen Verdauungssäfte die Nahrung auf. Unverdauliches wie Haare und Federn wird als Gewölle (Speiballen) wieder ausgewürgt. Wenn Sie über Groß Borstel demnächst wieder einen Mäusebussard sein markantes „hiäääh“ rufen hören, schauen Sie besser genau hin. Es könnte nämlich auch der Eichelhäher sein, denn dieser Vogel mit den leuchtend blauen Federn in den Flügeln weiß den Ruf des Bussards täuschend echt nachzuahmen.

Text und Fotos: Michael Rudolph