Vögel in Groß Borstel

Die Ringeltaube

An Tauben scheiden sich die Geister. Die eine Gruppe sieht sie als Friedensbringer oder züchtet Brieftauben und schickt sie auf lange Reisen. Die andere Gruppe betrachtet insbesondere die auch Straßentauben genannten Stadttauben in den Innenstädten als Plagegeister und befürchtet die Ausbreitung von Infektionen wegen der durch Taubenkot verursachten Verschmutzungen der Straßen und Fassaden. Um letztere soll es hier aber nicht gehen. Im Fokus steht die auch Waldtaube genannte Ringeltaube – der Vogel, nicht das gleichnamige Groß Borsteler Geschäft in der Sportallee.

Die Ringeltaube (Columba palumbus) ist die wohl bekannteste Vogelart aus der Familie der Tauben (Columbidae) und zugleich die größte, häufigste und am weitesten verbreitete Taubenart Mitteleuropas. Ihr Vorkommen erstreckt sich über den ganzen Kontinent mit Ausnahme von Island und Nordskandinavien. Die Art zählt zu den häufigsten Brutvögeln Europas. Der Bestand wird auf 30 bis 35 Millionen und in Deutschland auf 2,4 bis 2,7 Millionen Individuen geschätzt. In Hamburg ist die Ringeltaube flächendeckend vertreten und mit geschätzten 20.000 Paaren der siebthäufigste Brutvogel unserer Stadt. Er besetzt alle Lebensräume, in denen Gebüsche, Bäume oder Gebäude den Bau von Nestern erlauben und bevorzugt dabei Wohnblockzonen, Gartenstadt, Kleingärten, Wälder und Grünanlagen aller Art.

Ringeltauben sind schon durch ihre Größe deutlich von anderen Tauben zu unterscheiden: Sie haben einen 38 bis 43 cm langen, kräftig gebauten Körper, eine Flügelspannweite von 68 bis 77 cm und wiegen 450 bis 600 Gramm. Die Vögel weisen einen recht langen Schwanz, einen relativ kleinen Kopf und als markanteste Merkmale zwar keinen Ring aber einen deutlichen weißen Fleck an jeder Halsseite und im Flug ein weißes Querband auf der Flügeloberseite auf. Der vordere Rücken und der Schulterbereich sind schiefergrau bis graubraun, der restliche Rumpf ist an der Oberseite blaugrau. Kropfbereich und Brust zeigen eine diffus gräulich weinrote Färbung, die zum Bauch hin heller wird. Auf den Halsseiten und im Nacken findet sich ein metallisch schimmerndes grünes Band. Der Schnabel ist an der Basis rosa bis rot, an der Spitze orange bis gelblich. Er hat zwei schlitzförmige, mit Knorpelkappen überdeckte und verschließbare Nasenöffnungen. Diese ermöglichen der Ringeltaube – im Gegensatz zu anderen Vögeln – saugend zu trinken, also ohne den Kopf zu heben.

Oft sieht man Ringeltaubenpaare dicht beieinander sitzen und schnäbeln oder zärtlich das Gefieder des Partners pflegen und kraulen. Zugleich können sie untereinander auch sehr streitbar und aggressiv sein.

Die Geschlechter ähneln sich äußerlich sehr; das ein wenig kleinere Weibchen zeigt lediglich an der Brust eine etwas geringere Rotfärbung und die weißen Halsflecken sind kleiner. Ringeltauben im Jugendkleid haben noch keine weißen Halsflecken.

Der Reviergesang ist ein heiseres und etwas dumpfes Gurren mit vier bis fünf Wiederholungen, der Balzruf ist kürzer.

Oft sieht man Ringeltaubenpaare dicht beieinandersitzen und schnäbeln oder zärtlich das Gefieder des Partners pflegen und kraulen. Zugleich können sie untereinander auch sehr streitbar und aggressiv sein. 

Ihre meist pflanzliche Nahrung suchen die Tiere auf dem Boden und – im Gegensatz zu anderen mitteleuropäischen Tauben – zu einem erheblichen Teil auch auf Bäumen und Sträuchern. Hauptnahrung sind Eicheln, Bucheckern und Getreidesamen, aber auch Blätter, Knospen, Beeren und andere Früchte. Allerdings steht gelegentlich auch „Tierisches“ wie Schildläuse, Schmetterlingsraupen und -puppen, Muscheln und Schnecken auf dem Speiseplan.

Ringeltauben sind überwiegend Standvögel und Kurzstreckenzieher. Nur skandinavische und nordosteuropäische Populationen zeigen sich klimabedingt als Langstreckenzieher und fliegen im Herbst zu Hunderttausenden über Hamburg hinweg in die atlantischen und mediterranen Überwinterungsgebiete.

Ringeltauben werden ein Jahr nach dem Schlüpfen im Mai oder Juni geschlechtsreif. Die Vögel leben häufig in einer monogamen Saisonehe, bei nicht ziehenden Paaren sind Dauerehen häufig – aber nur, wenn die vorangegangene Brutsaison Junge hervorgebracht hat. Bleibt das Paar ohne Nachwuchs, suchen sich Ringeltauben für das nächsten Jahr einen neuen Partner.

Die Reviergründung erfolgt durch das Männchen, das nur die nähere Nestumgebung gegen andere Ringeltauben verteidigt. Die Balz beginnt im März oder April, in Städten sogar oft schon im Winter. Sie umfasst neben häufigem Rufen auch einen Balzflug des Männchens, bei dem es von einer hohen Warte aus 20 bis 30 Meter steil nach oben fliegt und dabei mehrfach laut mit den Flügeln klatscht. Anschließend gleitet es mit waagerecht ausgebreiteten Flügeln sowie gespreiztem Schwanz abwärts. Dieser Balzflug wird mehrfach wiederholt und erstreckt sich über das ganze Revier.

Der Täuber bietet Nistplätze an, die Auswahl trifft aber das Weibchen. Er bringt auch die Baumaterialien zum Nistplatz, die dann von der Täubin verbaut werden. Das Nest ist eine aus dünnen Zweigen schlicht aufeinander geschichtete Plattform mit einer flachen Mittelmulde und ist mitunter so locker gebaut, dass die Eier durch den Nestboden sichtbar sind. Die Eiablage erfolgt in unseren Breiten bereits ab Februar, meist jedoch im April oder Mai. Zwei Jahresbruten sind die Regel, vereinzelt kommen aber auch drei vor. Die letzten werden etwa Mitte September begonnen. Das Gelege besteht nahezu ausschließlich aus zwei Eiern, nur selten aus einem Ei. Die Farbe ist matt glänzend weiß. Die Brutzeit, in der sich beide Partner ablösen, beträgt 16 – 17 Tage, die Nestlingszeit 28 – 29 Tage. Wie bei allen Tauben werden die Nestlinge mit Kropfmilch gefüttert, einem von den Kropfepithelien beider Elternteile produzierten weißlichen dickflüssigen Sekret, bestehend aus Fett, Protein und Lecithin. Mit zunehmendem Alter der Nestlinge wird die Kropfmilch durch pflanzliche Nahrung ergänzt und letztlich ersetzt. Im Alter von etwa 35 Tagen sind die Jungvögel flugfähig.

Hauptfeinde der Ringeltauben sind strenge Winter und Rabenvögel, Habicht, Wanderfalke, Sperber, Mäusebussard und Uhu. Ursache für eine hohe Mortalität ist jedoch auch die Bejagung durch den Menschen. In Deutschland dürfen Ringeltauben in der Zeit vom 1. November bis 20. Februar geschossen werden. Die Strecke lag 2015/2016 bei 509.700 Individuen mit abnehmender Tendenz. Der Bestand der Ringeltauben gilt als nicht gefährdet. Die drei bisher bekannten ältesten Ringeltauben wurden in der Schweiz und in Großbritannien beringt und wurden über 15, 16 und 17 Jahre alt.

Tauben waren ursprünglich Wald- und Felsenbewohner, die mit Beginn des Ackerbaus vor etwa 10.000 Jahren eine Beziehung zum Menschen herstellten und ihm wegen des Nahrungsangebots folgten. Die geselligen und standorttreuen Tiere gewöhnten sich an Taubenschläge, wurden domestiziert und aus Felsentauben zu Haus- und Brieftaubenrassen gezüchtet, aus denen sich durch Verwilderung wiederum die Stadttauben entwickelten. Die grundsätzlich etwas scheue Ringeltaube war hingegen immer ein Wildvogel und ist erst vor weniger als 100 Jahren den Menschen in die Städte gefolgt.

Die aus der Felsentaube hervorgegangenen Zuchtformen der Tauben haben in Mythologie, Geschichte und Kultur einen festen Platz: Aphrodite, die Göttin der Liebe, schlüpft aus einem Ei, das von einer Taube ausgebrütet wurde. Im Mittelalter aßen Pestkranke Tauben in der Hoffnung auf Heilung. Liebende schätzten Tauben als diskreten Boten und auch Feldherren machten sich den Orientierungssinn der Vögel zunutze. So waren Brieftauben noch im ersten Weltkrieg für das Militär unverzichtbar, die Schweizer Armee setzte sie sogar noch bis 1995 ein.

Der spanische Maler Pablo Picasso machte die Taube zum Friedenssymbol und als Pierre de Coubertin 1896 die Olympischen Spiele wiederbelebte, spielte für ihn bei der Eröffnungsfeier der Flug der Friedenstaube eine bedeutende Rolle, da er von ihrer Bedeutung als Symbol des Friedens, der Unschuld und Treue wusste.

Über die Ringeltaube als eigene Art ist jedoch in Geschichte und Kultur nur wenig zu finden:

2002 erschien der Historienkrimi „Das Lied der Ringeltaube“ von Hannah March.

Aus dem Nachlass von André Gide (1869-1951) erschien 2002 die Erzählung „Le Ramiere“, von der seit 2006 die deutsche Übersetzung „Die Ringeltaube“ erhältlich ist. In ihr schildert der Autor ein homoerotisches Abenteuer aus dem Jahre 1907. 

2009 wurde in der Junior Schriftenreihe „Wissenschaft für Kinder“ das Taschenbuch „Die Fabel von der Ringeltaube“ veröffentlicht. In diesem aus dem 8. Jahrhundert stammenden Text gerät ein Taubenschwarm in das Fangnetz eines Jägers – eine scheinbar ausweglose Situation. Doch gelingt es einer Ringeltaube, den Schwarm durch Klugheit, besonnenes Verhalten sowie die Mobilisierung und Bündelung der hilfreichen Fähigkeiten, auch anderer Tierarten, zu retten. Denn gemeinsam ist man stark.

Diese Aussage hat auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren…

Text und Fotos: Michael Rudolph

Anmerkung der Redaktion: Im letzten Artikel über den Grünspecht hat in einer Bildunterschrift leider der Fehlerteufel zugeschlagen. Richtig ist: Das Weibchen des Grünspechts hat einen schwarzen Wangenstreifen, und das Männchen ist an dem zusätzlichen roten Punkt auf dem Wangenstreifen zu erkennen.