NEUE WEGE GEHEN

Weniger ist mehr

Haben Sie das auch so empfunden? Kristallklare Luft, keine Staubbelastung, kein Lärm rundherum und ein sternenklarer Himmel? Die Autos standen wochenlang still. Wenige Menschen auf der Straße, selbst die Kollau-straße still. Und noch eines war anders: kein Fluglärm. Nur dann und wann startete eine Maschine, es war fast wie in den fünfziger Jahren. Natürlich auch keine Kondensstreifen am Himmel, neudeutsch Chemtrails genannt.

Das, was wirtschaftlich, besonders für die Flughafenwirtschaft, eine Katastrophe ist, ist für die Umwelt eine Wohltat. Schon hoppeln Feldhasen durch Groß Borstel, Rehe, Füchse, Marder wandern vom Niendorfer Gehege herüber. Man hat den Eindruck, die Vögel singen in diesem Frühjahr besonders fröhlich.

Bliebe es doch immer so. Die Arbeit auf das Notwendige beschränken. Kein Getriebensein, kein Gehetze von Termin zu Termin. Jitsi- oder Zoom-Konferenzen ersparen den wöchentlichen Flugreisetag des Managers, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts nach München, Stuttgart oder Düsseldorf. Die Urlaubsreise geht ins schöne Brandenburg, an die Mosel oder für Hartgesottene in den Harz. Hamburger werden wieder von Nord- und Ostsee umschlungen und müssen nicht mehr vollklimatisiert in einem Dubaier Flughafenkaufhaus auf den nächsten internationalen Anschlussflug nach Brisbane, Bangkok oder Hanoi warten.

Nur fünf Prozent Luftverkehr, der Flughafen läuft auf Sparflamme. Ein Zurück-wie-früher kann nicht die Alternative sein. Es ist die Zeit der Konversion. Die Zeit des Nachdenkens. Die Suche nach dem, was wir uns künftig ersparen können. Einen Gedanken hat der BUND Hamburg aufgegriffen: die Anpassung der Betriebszeiten des Flughafens auf ein vernünftiges Maß.

„Nachts ist Ruhe“ ist seit 2017 die Forderung des BUND, also eine Beschränkung der Betriebszeiten des Hamburger Flughafens zumindest auf die Zeiten der gesetzlichen Nachtruhe, also auf 6.00 bis 22.00 Uhr, am Wochenende von 8.00 bis 22.00 Uhr. Das war auch die Forderung einer erfolgreichen Volkspetition, abgebügelt von der Hamburger Regierungskoalition.

Tatsächlich ist die innerstädtische Lage des Flughafens seit Jahrzehnten ein Streitpunkt. Schleswig-Holsteiner, Niedersachsen und Mecklenburger nutzen den Flughafen in Hamburg und verschonen so ihre eigenen Anwohner vor Fluglärm. Der BUND fordert ein Umdenken in der Verteilung der Luftverkehrslasten. Mit einer gemeinsamen Initiative soll Hamburg – federführend – zusammen mit den Bundesländern Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein das aus dem Jahr 2013 stammende Luftverkehrskonzept der Nordländer neu verfassen. Hierbei sind Belastungsreduktionsziele als oberste Prämisse festzulegen. Dieses neue Konzept soll dann eine beispielgebende Rolle für die Fortschreibung des nationalen Luftverkehrskonzeptes von 2017 einnehmen.

Die norddeutschen Flughafenstandorte sollen ihre Wettbewerbssituation untereinander aufgeben und durch eine enge Zusammenarbeit der Flughäfen in Hamburg, Bremen, Rostock, Hannover und auch Lübeck die gemeinsamen Ressourcen klima-, lärm- und umweltschonend nutzen.

Ein in gemeinsamer Initiative gut ausgebautes Schienennetz und eine unter Beachtung des Gesamtsystems optimierte Slot-Vergabe für die genannten Flughäfen sollen standortbezogene Überlastungen verhindern und dadurch das Gesamtsystem entlasten. Das Luftverkehrskonzept soll für die Entwicklung, den Betrieb und die Rolle des norddeutschen Luftverkehrs unter Berücksichtigung seiner Klima-, Lärm- und Ressourcenbelastung eine verbindliche Richtungsweisung darstellen, mit regelmäßiger Evaluierung und Anpassung. (BUND Hamburg)

Nach Recherchen des NDR ist in den Monaten April bis August 2019 jeder dritte Flug ab Hamburg ein Inlandsflug. Jeder vierte Flug überbrückt sogar nur eine Entfernung von maximal 500 Kilometer. Solche Flugreisen sind laut Verkehrsclub Österreich 50-mal so klimaschädlich wie Bahnreisen. Der BUND Hamburg hat für das Jahr 2018 über 23.000 Flüge von und nach Hamburg-Fuhlsbüttel ermittelt, die ohne Zeit- und Komfortverlust sofort auf die Schiene verlagert werden können. Köln und Düsseldorf, Frankfurt oder Nürnberg sind Flugziele, die innerhalb von vier Stunden mit dem ICE erreicht werden können – heute schon.

Die Regierungsparteien in Hamburg und Berlin verbreiten in der Corona-Krise die Mär vom ungehemmten Wachstum. So empfiehlt der CDU-Wirtschaftsrat eine „zeitliche Streckung der klimapolitischen Zielvorgaben“, um die deutsche Wirtschaft auf Kurs zu bringen. Von der brummenden Autoindustrie bis hin zur intensiven Landwirtschaft, alles soll so weitergehen wie vor der Corona-Pandemie. Milliardenhilfen für die Luftfahrtwirtschaft. Ansonsten drohe Deutschland die Deindustrialisierung, so der CDU-Wirtschaftsrat.

Flughafenbetriebschef Johannes Scharnberg (Director Strategy, Political and Environmental Affairs, Prokurist bei Hamburg Airport) begründet die Wachstumsnotwendigkeit mit den ständig steigenden Kosten – beispielsweise infolge von Lohnverhandlungen. Ein langfristiger Rückgang der Passagierzahlen führe nach seiner Logik in eine betriebswirtschaftliche Katastrophe. Eine ganze Kommunikationsabteilung ist deshalb bei der Flughafen Hamburg GmbH damit beschäftigt, Abgeordneten der Bürgerschaft und der Öffentlichkeit die These vom dringenden „menschlichen Bedürfnis nach Mobilität“ als Realität darzustellen.

Jedoch sehen moderne Wirtschaftstheoretiker die Zeit des Umdenkens gekommen. Es geht um nichts weniger als die Emanzipation unserer Wirtschaftsweise von veralteten Theorien, Werten und Gewohnheiten. „Um einen bevorstehenden ökologischen Zusammenbruch abzuwenden“, so die Kultursoziologin Miriam Meissner, „müssen wir, daran führt kein Weg vorbei, schnellstmöglich den Kurs wenden und ein ökonomisches Modell entwickeln, das ohne fortlaufendes Wirtschaftswachstum auskommt.“

Nicht allein das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist das Maß aller Dinge, auch die Faktoren Nachhaltigkeit, Umwelt, Gleichstellung müssen bewertet werden. Länder wie Neuseeland, Island und Schottland legen hier bereits vor. Sie haben unter der Initiative Wellbeing Economy Governments 2019 beschlossen, Umwelt, Gerechtigkeit und Lebensqualität höher als das BIP zu bewerten.

Das BIP berücksichtigt nicht, welche Umweltschäden mit dem Wachstum einhergehen – im Gegenteil. Eine Zunahme an Autounfällen und Verkehrsopfern steigert beispielsweise die Zielkennziffer der Wachstumsfetischisten. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU, 45) möchte – aus seiner verqueren Sicht folgerichtig – die im europäischen Vergleich immer noch laxen Sanktionen gegen zu schnelles Fahren wieder zurückschrauben. Man soll also mit 55 km/h durch 30er-Wohngebiete brettern oder mit 75 bzw. 85 km/h durch die Stadt rasen können, ohne den Führerschein auch nur für einen Monat abgeben zu müssen. Das ist genau das, was wir nicht brauchen.

Zurzeit laufen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen in Hamburg. Auf die Einschränkungen der Betriebszeiten des Flughafens zu hoffen, scheint momentan extrem optimistisch zu sein. Die SPD fordert gar, die Fluglärmschutzbeauftragte von der Umweltbehörde in die Flughafen-affinere Wirtschaftsbehörde zu versetzen. Die Hamburgische Landesregierung genehmigt den Bau eines Daimler-Logistikzentrums ausgerechnet in einem Moorgebiet. Die A26-Ost soll als Verbindung zwischen A7 und A1 gebaut werden, obwohl die der Planung zugrundeliegenden utopischen Hafenwachstumszahlen schon vor Jahren nicht erreicht werden konnten. Gerade in Zeiten der Krise malt der Senat ein düsteres Bild. Er setzt entgegen aller Warnungen mehr auf Wirtschaftswachstum als auf ökologische Neubesinnung. Dabei ging das Ergebnis der Bürgerschaftswahl doch eigentlich in die entgegengesetzte Richtung. Schon vergessen?
Uwe Schröder

Quellen:
• Neue Wege im Luftverkehr für Hamburg, BUND Hamburg, 13. Mai 2020
• VCÖ-Schriftenreihe „Mobilität mit Zukunft“: „Klimafaktor Reisen“, Wien 2020
• Miriam Meissner, Der Freitag, 14. Mai 2020