Liebe Borstelerinnen, liebe Borsteler,

vor einem Monat hoffte die Welt noch auf Frieden – einfach, weil sich kaum jemand vorstellen konnte, dass 2022 ein souveräner Staat, ein Land mit 44 Millionen Menschen, von seinem Nachbarn mitten in Europa überfallen und in Grund und Boden gebombt und zerstört wird. Tausende Menschen sterben, Millionen – vor allem Frauen und Kinder – flüchten aus ihrem Land. Ein Vernichtungskrieg, geführt einzig aus Machtgier, Größenwahn und den Fantasien eines Gestörten, der ein neues Zarenreich errichten möchte. Eine Diktatur mit Vasallenstaaten.

Wir müssen wohl den Tatsachen ins Auge sehen, dass Frieden, Demokratie, Wohlstand und gesunde Natur nicht mehr vom Himmel in unseren Schoß fallen. Wenn wir weiterhin ein gutes Leben haben wollen, werden wir dafür einiges tun und anderes Gewohntes reduzieren oder lassen müssen: erneuerbare Energien ausbauen, um autark zu werden und nicht länger abhängig von den Spekulationen an den Rohstoffbörsen zu bleiben. Wir müssen unsere Freiheit wirksam verteidigen, Versorgungsabhängigkeiten des „freien Marktes“ von unkalkulierbaren Diktatoren und menschenrechtsverletzenden Regimes beenden. Und weniger Energie verbrauchen, weniger Mobilität verursachen, weniger verschwenden.

Und wir sollten eine innere Haltung entwickeln, die diese großen Probleme akzeptiert, statt uns permanent über alles und jedes zu empören, was lästig, beeinträchtigend oder teuer ist. Wir müssen wohl realisieren, dass unser System Erde mit inzwischen fast acht Milliarden Menschen in einer schweren Krise ist: Klima, Ressourcen, Pandemien, Cyberangriffe, Hunger, Kriege, Flucht, Ungerechtigkeit, verletzte Menschenwürde.

In der Medizin spricht man im Verlauf einer Krankheit von einer „Heilungskrise“. Gute Ärzte und ein hoch entwickeltes Gesundheitswesen können Patienten dabei so unterstützen wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Aber gesund werden muss jeder Kranke selbst: Sein ganzer Organismus muss die Krankheit als solche erkennen und die Chance ergreifen, gesund werden zu wollen. Wir Menschen sind der lebendige Organismus der Gesellschaft, Wissenschaftler auf der ganzen Welt haben seit Langem klare Diagnosen, Analysen und Vorschläge, was zu tun ist, um aus der Krise eine Chance zu machen, Politiker sollten quasi die „Ärzte“ sein, die diese Erkenntnisse in Handeln umsetzen. Der Journalist Hajo Schumacher schrieb im Hamburger Abendblatt unter dem Titel „Mehr Ehrlichkeit wagen“: „Die Regierungserklärung des Kanzlers könnte lauten: Wir können und wollen die Augen nicht länger verschließen vor den zahlreichen Mängeln, Widersprüchen und Fehlentwicklungen. Wir brauchen ein neues, gemeinsames und zukunftsfestes Verständnis von Menschenwürde und Lebensqualität, von Wachstum und Wohlstand. Um unsere Abwehrkräfte zu stärken, Verschleiß zu reduzieren und in neuer Gemeinsamkeit zu üben, werden wir unsere Komfortzone verlassen und radikale Kompromisse machen. Ich kümmere mich um ein sinnvolles Vorgehen und größtmögliche Gerechtigkeit. Wir können scheitern, wenn wir es versuchen. Aber wir werden scheitern, wenn wir es nicht versuchen.“

Trotz allem wünsche ich uns allen ein gutes Osterfest!

Herzlich Ihre Ulrike Zeising

P.S. Versehentlich habe ich im März-Editorial einen falschen Termin für die Info-Veranstaltung zum Bauprojekt „Petersen Park“ angekündigt: Der Termin ist 30. März 2022 in der Kirche St. Peter (siehe Seite 33)!