HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN: Das rote Haus in der Frustbergstraße

Die Frustbergstraße ist eine prächtige Straße in Groß Borstel mit vielen schönen, zum Teil auch alten Häusern. Das älteste Haus ist das Stavenhagenhaus aus dem 17. Jahrhundert, gleich am Anfang. Das jüngste Haus entstand erst 2004.

Wer schon einmal die Frustbergstraße entlang spaziert ist, dem wird es vermutlich aufgefallen sein, denn das Haus ist etwas anders als die übrigen Häuser drumherum. Es steht mit der schmaleren Seite zur Straße, reicht recht tief in das Grundstück hinein und weist einige Besonderheiten auf. So ist es beispielsweise rot. Nicht, weil es aus roten Backsteinen gebaut wurde, wie einige andere Häuser in der Nähe, sondern weil es so angestrichen wurde – in einem kräftigen satten Rot.

Hier wohnen Hanna Conradi und Christian Lobe. „Die Wände bestehen zum größten Teil aus Betonplatten. Eigentlich ist das also ein Plattenbau“, erklärt Christian Lobe augenzwinkernd. Christian Lobe ist Architekt und hat das Haus entworfen. Der Wunsch zur Gestaltung wurde ihm quasi in die Wiege gelegt. Auch sein Vater war schon Architekt, seine Mutter Innenarchitektin. Einer seiner drei Brüder wurde ebenfalls Architekt. Man könnte annehmen, Christian Lobe hätte das eigenwillige Haus für sich geplant, vielleicht als architektonische Visitenkarte, aber das trifft nicht zu. Er hat es seinerzeit für Hanna Conradi und ihre Familie entworfen. Dass er dann selbst auch hier einzog und sein Büro hierher verlegte, war eher Zufall.

Die Geschichte des roten Hauses nahm Ende der 1990er Jahre ihren Anfang. Hanna Conradi radelte damals zusammen mit ihrer Mutter durch Groß Borstel und sah dort das Grundstück an der Frustbergstraße, mit einem etwas schmucklosen gelb geklinkerten Haus darauf und davor ein Schild, auf dem „Zu verkaufen“ stand. Zu dieser Zeit wohnte Hanna Conradi mit ihrem Mann und ihren zwei Pflegekindern noch in Rotenburg an der Wümme. Es war eine schwierige Zeit für die Familie, denn ihr Mann hatte einen Schlaganfall erlitten und war auf einen Rollstuhl angewiesen. Ihre Pflegetochter sollte gerade in die Grundschule eingeschult werden, der Pflegesohn auf eine weiterführende Schule gehen. Hanna Conradi dachte daran, zurück in ihre Heimatstadt Hamburg zu ziehen, weil sie hier mehr Unterstützung für die anstehenden Aufgaben finden würde. Das Kaufangebot am Frustberg kam gerade recht.

Zunächst entstand die Idee, das vorhandene Haus zu sanieren und so umzubauen, dass es für einen Rollstuhlfahrer nutzbar wäre. Doch der Plan wurde bald als nicht durchführbar aufgegeben und ein Neubau ins Auge gefasst. „Du musst Christian fragen, riet meine Mutter“, erinnert sich Hanna Conradi. „Unsere Mütter kannten sich sehr gut aus der St. Andreas Gemeinde in Eimsbüttel. Mein Vater war dort Pfarrer und die Mutter von Christian war in der Gemeinde sehr engagiert. Christian und ich kennen uns seit frühester Kindheit.“

Christian Lobe hatte nach seinem Studium in Braunschweig, unter anderem bei Meinhard von Gerkan, einige Zeit im Büro seines Vaters in Lokstedt gearbeitet und sich dann mit einem Büro in Eppendorf selbständig gemacht.

„Das Haus, so wie es jetzt aussieht, ist das Ergebnis der bauverordnungsrechtlichen Bedingungen, “ erläuterte der Architekt seinen Bauplan. „Das Haus sollte zweigeschossig werden, aus finanziellen Gründen mit einer Einliegerwohnung versehen. Das Grundstück ist recht schmal, dafür aber tief. Es gibt natürlich Vorschriften für die Mindestabstände zu den Nachbargrundstücken und für die Höhe des Hauses. Ursprünglich hatten wir das Haus länger geplant, schließlich wurde es ein paar Meter kürzer, dafür haben wir mit dem Ausbau des Dachbodens noch etwas Raum gewonnen. Eine wesentliche Anforderung war ein barrierefreier Zugang.“

Es war die Diskussion um den Ausbau des Dachbodens, die dafür sorgte, dass Christian Lobe am Ende mit im Boot saß, sprich: ebenfalls in das neue Haus einzog. „Der Dachboden war ursprünglich von Christian als Ausbaureserve geplant. Das gefiel mir nicht“, erinnert sich Hanna Conradi. „Ich war dafür, den Dachboden gleich mit auszubauen. Wir diskutierten darüber und schließlich schlug ich Christian vor, einfach mit einzuziehen und im ausgebauten Dachboden seine Zelte aufzuschlagen und sein Büro einzurichten.“

So kam es dann auch. Am ursprünglichen Entwurf des Hauses änderte sich dadurch nichts, mit einer kleinen Ausnahme. „Wenn er schon da oben wohnen sollte, dann wollte er dort auch einen eigenen Balkon haben.“ So kam als letzte Änderung an der Rückseite des Hauses zum Garten hin noch ein zweiter Balkon hinzu.

Um wirklich alle Bauwünsche mit den baurechtlichen Vorschriften unter einen Hut zu bringen, musste der Bauherr ein paar architektonische Kunstgriffe anwenden. So ist der Dachfirst, die Spitze des Daches, zu einer Seite verschoben, um zusammen mit einer Gaube im Dachboden genügend Höhe zu schaffen. Die Optik des Hauses erhielt dadurch ihren asymmetrischen Charakter.

Neben den Bauvorschriften gab es allerdings auch noch reichlich Raum für gestalterische Freiheit. So haben die Fenster ihre größte Ausdehnung ungewöhnlicherweise nicht in der Waagerechten, sondern in der Senkrechten. Sie sind schmal und hoch. Einige Fenster reichen in den Räumen bis zur Decke. Sie geben viel Licht, nehmen aber wenig Wandfläche weg.

„Es gibt viele Räume im Haus. Ich wollte mit den schmalen hohen Fenstern an den Wänden möglichst wenig Stellfläche wegnehmen“, begründet Christian Lobe diese Entscheidung. Die hohen Fenster sorgen aber auch für klare Linien und verleihen dem Haus zudem einen etwas sakralen Charakter.

Die Fenster stammen von einer dänischen Firma und schlagen nach außen auf. In Dänemark ist das nicht unüblich. Dort gibt es mehr Wind und die Fenster erhalten dadurch eine höhere Dichtigkeit. Es sind Holzfenster, außen aber mit Aluminiumblenden, die mit dem gefalzten Zinkdach des Hauses korrespondieren. Während das Haus von außen etwas „technoid“ (Lobe) wirkt, ist es innen sehr warm gestaltet. Auf dem Fußboden sind Eichendielen verlegt. Sie weisen alle in Richtung einer großen Eiche, die am anderen Ende des Grundstücks steht – ein Monument von einem Baum.

Hanna Conradi schätzt das Alter dieser Eiche auf etwa 250 Jahre. Damit wäre sie ungefähr so alt wie die hohle Stieleiche im Herbstschen Park. Als die beiden Bäume um 1770 gepflanzt wurden, standen sie noch im gleichen Park.

Die großartige Natur war für Hanna Conradi ein weiteres starkes Argument für den Kauf des Grundstücks. „Wir lassen den Garten so, dass sich dort auch Tiere wohlfühlen können.“ Im Sommer gibt es viele wilde Bienen, und kürzlich hat sogar eine Igelfamilie hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen. Manchmal gibt es überraschenden Besuch im Haus. „Einmal schaute uns plötzlich ein Käuzchen hinter der Glastür aus dem Kamin heraus an. Der Vogel war dort irgendwie hineingerutscht und musste von uns befreit werden“, berichtet Hanna Conradi.

Die Erzieherin und Lehrerin, jetzt Schulleiterin an der Grundschule Hoheluft in Eimsbüttel, schenkt nicht nur jungen Menschen ihre besondere Aufmerksamkeit, sondern auch der Natur. Inzwischen wurde der Schornstein zur Verhinderung weiterer „Unfälle“ mit einem Hütchen versehen.

Die vitale Groß Borsteler Natur war übrigens mitverantwortlich dafür, dass das Haus seine auffällige rote Farbe erhielt. „Das Haus sollte möglichst wartungsarm sein. Im Laufe der Jahre sieht man aber die Umwelteinflüsse an den Hauswänden, sie verfärben sich, werden dunkel oder grün. Bei weiß gestrichenen Wänden ist das auffälliger als bei einer farbigen Wand“, erläutert Christan Lobe die Farbwahl. „Gelb war uns zu modernistisch, Blau zu kühl. Grün gefiel uns nicht. Also blieb Rot übrig. Und dann haben wir uns gleich für ein kräftiges Rot entschieden. Die Farbe passte außerdem gut zu den silbernen Aluminiumblenden der Fenster.“

Ein sehr modernes, asymmetrisches Haus, mit senkrecht ausgerichteten Fenstern, und auch noch in Rot. In einer Straße mit vielen alten Villen. Wie war die Reaktion auf dieses neue und auffällig andere Haus? Christian Lobe lacht: „Die Akzeptanz war sehr schwach.“ „Wenn Fotos von der Straße gemacht wurden, dann erst rechts von unserem Haus, dann links von unserem Haus. Das rote Haus sollte besser nicht darauf zu sehen sein“, ergänzt Hanna Conradi. „Ein Nachbar ließ uns sogar wissen: ‚Meine Frau bekommt beim Anblick Migräne.‘ Und einmal fuhr ein Mann auf dem Rad vorbei und rief laut: ‚Sch…haus!‘. Aber das legte sich im Laufe der Jahre. Und dann hörte ich auf der Straße auch mal jemanden sagen: Eigentlich ist es gar nicht so schlecht!“
André Schulz

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