Die Dachpappenfabrik Riedeburg & Möller

Bei der Einfahrt nach Groß Borstel durch das heutige „Haupttor“, die große Kreuzung mit der B433, dem Ring 2 und der Borsteler Chaussee, sieht man auf der linken Seite zwei kleinere alte Gebäude, mit einer Einfahrt in ihrer Mitte. Die Gebäude mit der Adresse Borsteler Chaussee 11, rechts und links von später entstandenen fünfgeschossigen Wohnhäusern eingerahmt, sind die Überbleibsel einer alten Fabrikanlage, die hier gemäß Handelsregister am 18.4. 1876 von den beiden Unternehmern Herrmann Theodor Riedeburg und Heinrich Gottlieb F. Möller gegründet wurde. Die Firma Riedeburg & Möller stellte Dachpappen her und alle Materialien, die man zum Verlegen derselben benötigt, also Kleber, Spachtelmaterial, Lacke sowie Teer- und Bitumenanstriche.

Dachpappe war damals noch ein recht neues Produkt. Als Erfinder gilt der Baumeister Friedrich Wilhelm Buttel, der das Verfahren 1842 in einer Monografie mit dem griffigen Titel „Praktische Erfahrungen über Dornsche Dächer nebst ausführlicher Beschreibung, Kostenberechnung und Zeichnung solcher Constructionen, welche denselben größere Dauer und Dichtigkeit geben, und einem Anhange über die flachen Dächer bei ökonomischen Gebäuden“ beschrieb. Dachpappe wird hergestellt, indem man Pappe in Bitumen taucht. Das dadurch entstandene Material ist wasserfest und wasserdicht und deshalb zum Abdichten von Hausdächern geeignet.

Bitumen (von lateinisch: „pix tumens“ = ausschwitzendes Erdpech) hingegen, eine aus Erdöl gewonnene Kohlenwasserstoffverbindung, war schon in der Antike bekannt und wurde bereits zu jener Zeit als Dichtmittel verwendet. Heute spielt Bitumen vor allem bei der Herstellung von Asphalt im Straßenbau eine wichtige Rolle.

Die Groß Borsteler Dachpappenfabrik war sehr lange produktiv und erfolgreich, 100 Jahre lang. Der federführende Mann in den Gründerjahren der Firma war Heinrich Gottlieb F. Möller. Mitbegründer Herrmann Riedeburg schied schon nach einem Jahr aus. An seine Stelle traten 1877 zwei neue Gesellschafter ein. Einer von ihnen war Gottfried C. Jacobsen, der das Geschäft weiterführte, nachdem auch der zweite Firmengründer Gottlieb Möller die Firma verlassen hatte. 1888 übernahm Edmund August Krüss das Unternehmen. Der neue Inhaber war ein Vetter von Professor Hugo Krüss, dem Inhaber und Geschäftsführer der „A. Krüss Optisch-mechanische Werkstätten“. Edmund Krüss verkaufte das Unternehmen, das immer noch unter dem ursprünglichen Namen Riedeburg & Möller firmierte, im November 1898 an Dr. Friedrich D.J. Jacobsen, der die Firma nun zusammen mit seinem Bruder Edmund leitete. Riedeburg & Möller blieb bis zum Ende der Firma im Besitz der Familie Jacobsen.

Als die Dachpappenfabrik gegründet wurde, war der Hauptzugang nach Groß Borstel noch die Brücke über die Tarpenbek via Kellerblek und Lokstedter Damm. Die Häuser an der Borsteler Chaussee mit den niedrigen Hausnummern befanden sich quasi am Ende von Groß Borstel, genau genommen sogar schon außerhalb. Alte Karten von 1870 weisen den unteren Teil der Borsteler Chaussee und die Landschaft hinter dem Klotzenmoor nämlich noch als Teil der Vogtei Eppendorf aus. Das erklärt auch, warum das Eppendorfer Moor diesen Namen trägt und nicht Groß Borsteler Moor heißt. Erst im Zuge der Neueinteilung gemäß dem Groß-Hamburger-Gesetz von 1937 kam auch dieser Teil der Borsteler Chaussee formal zu Groß Borstel. Die Dachpappenfabrik mit ihren Abgasen und Abwässern war in seiner Randlage im noch dünn besiedelten Groß Borstel offenbar ein erträgliches Übel. Dabei hatte die Fabrik ein beachtliches Ausmaß. Hinter den beiden übriggebliebenen kleinen Häusern an der Borsteler Chaussee – das Haus links, war einst die Remise für die Kutschen der Fabrik -, stand das dreistöckige Hauptgebäude der Firma. Noch einmal so hoch war der Schlot der Fabrik. Auf dem Werksgelände dahinter, das bis zur Tarpenbek reichte, schlossen sich mehrere Schuppen, Hallen und Werkgebäude an.

Als Jochen Jacobsen 1968 in der 3. Generation die Geschäftsführung übernahm, hatte die Firma immer noch volle Auftragsbücher. Der Charakter des Standortes Groß Borstel hatte sich aber inzwischen grundsätzlich verändert, denn in der Nachbarschaft waren Siedlungen mit vielen Wohnungen entstanden. Die Anwohner protestierten regelmäßig gegen den Staub und die Abgase der Dachpappenfabrik. 1977 stellte Jochen Jacobsen die Dachpappenproduktion schließlich ein und begann stattdessen unter dem neuen Firmennamen „Jacobsen Türen“ mit der Produktion von Türen nach schwedischem Design. Die Türenproduktion existierte mindestens bis 1989 und ist noch in dem Buch „Groß Borstel, vom Dorf zum Stadtteil“ aus dem gleichen Jahr vermerkt. Später ging das Gebäude in den Besitz von Johannes Klemmer über. Einige Haustechnik- und Klempnerfirmen nahmen hier nun ihren Sitz und sind immer noch auf dem großen Firmenschild über der Einfahrt verzeichnet, existieren hier aber schon lange nicht mehr.

2020 wurde das Haus von der Immobilienfirma Landschof & Kreye gekauft, die damit begonnen hat, das Haus sukzessive zu sanieren. Im schon modernisierten Gebäudeteil über der Einfahrt, in dem das Rad einer alten Zugwinde an die alte Fabrik erinnert, zog Söntke Visser mit seiner Deutschland-Vertretung eines des italienischen Kaffeeautomatenproduzenten ein. Della Corte produziert schicke Kaffeeautomaten für den professionellen Einsatz in gastronomischen Betrieben. Kosten für eine Maschine ab 10.000 Euro. Söntke Visser ist Kaffeeexperte, eher schon Kaffeewissenschaftler, falls es das gibt. Er weiß alles über Kaffee und die Feinheiten der Zubereitung. Neben den Kaffeemaschinen vertreibt Söntke Visser auch professionelle Kaffeemühlen der Firma Mahlkönig, bei denen sich der Mahlgrad höchstpräzise einstellen lässt, was Einfluss auf den Geschmack des Kaffees hat. Im Hinterhof hat als einzige weitere Firma der Lebensmittellieferant „Flink“ mit einem Auslieferungslager einen Sitz. Die Lebensmittelboten kommen im Minutentakt mit ihren Fahrrädern eingefahren und schwirren nach kurzer Wartezeit mit den nun gefüllten Lebensmittelboxen wieder davon. Man sollte ihnen besser nicht im Weg stehen.

André Schulz