DAS DRAMA IN „EISMITTE“! DER POLARFORSCHER JOHANNES GEORGI HÄUSER, DIE GESCHICHTEN ERZÄHLEN

Mehr noch als Wladimir Köppen und sein Schwiegersohn Alfred Wegener, die 1924 von Groß Borstel nach Graz zogen, war der Meteorologe Johannes Georgi ein Bürger Groß Borstels.

Eisberg, von Bord des Expeditionsschiffs “Meteor” gesehen.

Johannes Georgi wurde am 14. Dezember 1888 in Frankfurt/Main geboren. Er studierte in Göttingen, Zürich und Marburg zunächst Mathematik und Physik. In Zürich nahm er sogar an einem Seminar von Albert Einstein teil. Dann wechselte er aber ins Studium der Biologie und interessierte sich im Besonderen für die neu entwickelte Vererbungslehre. 1910 hatte Georgi in Marburg dann Gelegenheit, an meteorologischen Übungen des jungen Privatdozenten Alfred Wegener teilzunehmen.

Zu der Zeit hatte Wegener schon auf zwei Forschungsreisen in Nordostgrönland überwintert. Unter dem Eindruck von Wegeners Vorlesungen begann sich nun auch Georgi für die Grönlandforschung zu interessieren.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Georgi eingezogen und als Meteorologe bei der Marine eingesetzt. Zuletzt leitete er dort die Wetterdienstschule. Nach dem Ende des Krieges kam Georgi zur Meteorologischen Versuchsanstalt der Deutschen Seewarte in Hamburg, wo sein früherer Professor Alfred Wegener inzwischen Abteilungsleiter war. Georgi bezog ein reetgedecktes Haus in Groß Borstel, in der Borsteler Chaussee 159, unweit des Hauses von Wladimir Köppen (Violastraße 7, heute Köppenstraße) und wohnte hier bis zu seinem Tod. Das Haus existiert heute noch – eines der wenigen noch vorhandenen Zeugnisse von Groß Borstels bäuerlicher Vergangenheit.

Im Zuge seiner Forschungen reiste Johannes Georgi in den Sommermonaten 1926 und 1927 mit dem Forschungsschiff „Meteor“ erstmals in das Polargebiet und führte an der Nordwestspitze Islands Messungen der Höhenwinde durch. Dabei entdeckte er als einer der Ersten die starken Windbänder in den 10 bis 15 km hohen Luftschichten, in der oberen Troposphäre, die er „Strahlströme“ nannte. Heute sind sie als Jetstream bekannt. Infolge globaler Ausgleichsbewegungen zwischen verschiedenen Temperaturregionen werden hier zeitweise Windgeschwindigkeiten von bis zu 540 km/h erreicht. Das Phänomen wird heute von der Flugwirtschaft ausgenutzt. Auf Transatlantikflügen sparen die Airlines viel Treibstoff, wenn ihre Flugzeuge mit dem Rückenwind in den Jetstream-Bändern fliegen, während der Jetstream-Gegenwind unbedingt gemieden wird.

Auf einer seiner Reisen setzte Georgi auch erstmals seinen Fuß auf grönländischen Boden und war wie viele andere vor und nach ihm vom unberührten Eismeer fasziniert.

Georgi entwickelte die Idee, zur besseren Untersuchung des polaren Luftmeeres in den höheren Sphären eine ständige Beobachtungsstation auf dem grönländischen Eis zu errichten. Dies deckte sich mit den Forschungsplänen seines Lehrers und Freundes Alfred Wegener, der inzwischen Professor an der Universität von Graz war und sich für eine Beschreibung des meteorologisch-glaziologischen West-Ostprofils des grönländischen Inlandeises interessierte.

Johannes Georgie, Alfred Wegener, Fritz Loewe, Ernst Sorge


1929 und 1930/31 stellten Wegner und Georgi zwei Grönlandexpeditionen zusammen, an denen neben anderen der Berliner Geographielehrer und Glaziologe Ernst Sorge (1899-1946) und Fritz Loewe (1895-1974), Assistent an der HöhenflugsteIle des Aeronautischen Observatoriums Lindenberg bei Berlin, teilnahmen.

1929 wurde zunächst eine Vorexpedition durchgeführt, das Gelände erkundet und schließlich auf dem Kamarujuk-Gletscher eine Basisstation, die Weststation, errichtet. Bei Messungen verschiedener Gletscher stellten die Forscher schon damals fest, dass diese im Vergleich zu früheren Vermessungen kleiner geworden waren – die Erwärmung der Erdatmosphäre war also schon im Jahr 1929 messbar. Im Zuge der Hauptexpedition 1930/31 sollte in der Mitte Grönlands (Koordinaten: 71° 11’ N, 39° 56’ W), etwa 400 km von der Weststation entfernt, eine dauerhafte Beobachtungsstation eingerichtet werden, „Eismitte“ genannt. Georgi war als Leiter der Station vorgesehen. Im Juli 1930 wurde die erste Fahrt auf Hundeschlitten zur geplanten Position der Station unternommen.

Die ganze Expedition stand allerdings unter keinem guten Stern. Von Seiten der Regierung hatte es nur eine geringe finanzielle Förderung gegeben und wegen besonders ungünstiger Witterungsbedingungen wurde der Zeitplan deutlich verfehlt. Mit drei Versorgungsfahrten konnte die Station deshalb nur unzureichend aufgebaut werden. Im Wesentlichen bestand sie aus einer Höhle im Eis und einem iglu-artigen Eingang plus Geräten.

Johannes Georgi in der Eishöhle

Georgi und Sorge meldeten an die Basis, dass die Station aufgeben werden müsste, wenn nicht noch mehr Versorgungsmittel herangeschafft würden. Alfred Wegener und Fritz Loewe machten sich deshalb zusammen mit 13 Grönländern am 21. September auf eine vierte Versorgungsfahrt. Bei Temperaturen von bis zu minus 54 Grad brachen die meisten der Begleiter die Fahrt jedoch ab. Wegner, Loewe und der Grönländer Rasmus Villumsen (1909-1930) fuhren alleine weiter. Am 30. Oktober erreichten sie schließlich die Station. Loewe waren auf der Fahrt alle Zehen abgefroren, die Georgi ihm mit primitiven Werkzeugen amputierte. Wegener und Villumsen traten am nächsten Tag, am 1. November und zu Wegners 50stem Geburtstag, die Rückfahrt ohne den verletzten Loewe an. Doch sie kamen nie in der Basisstation an.

Forschungsarbeit unter harten Bedingungen: Georgi bei der Messung der Bodenwindgeschwindigkeit, Alfred Wegener auf dem Weg zu den Messinstrumenten und Ernst Sorge nimmt Eisproben.

Im Mai 1931 wurde Alfred Wegeners Leiche gefunden, in einen Schlafsack eingenäht. Er war offenbar an Erschöpfung gestorben. Sein junger Begleiter Rasmus Villumsen blieb verschollen. Georgi erfuhr vom Tod Wegeners, als im Mai 1931 erstmals ein Propellerschlitten die Station „Eismitte“ erreichte. Mit dem motorisierten Schlitten konnte der verletzte Loewe in nur zwei Tagen zur Weststation zurückgefahren werden. Georgi verbrachte nun noch zehn Wochen lang völlig alleine in der Station, um damit ein volles wissenschaftliches Beobachtungsjahr abzuschließen.

Nach der Rückkehr nach Hamburg wurde Georgi Nachfolger des verstorbenen Wegener und Leiter des Instrumentenamtes an der Deutschen Seewarte. Alfred Wegeners Bruder Kurt und einige andere Forscher machten Georgi den Vorwurf, durch die Anforderung von weiteren Versorgungsmitteln am Tod von Wegner mitschuldig zu sein. Es gab eine öffentliche Auseinandersetzung, die schließlich vor Gericht mit einem Vergleich beendet wurde.

Die Geschehnisse bei dieser Grönlandexpedition beschäftigten Georgi ein Leben lang und fanden ihren Niederschlag in seinem Briefwechsel mit Fritz Loewe, mit dem er bis zu seinem Lebensende in Verbindung stand.

In seinem Leben musste Georgi einige weitere schwere Schicksalsschläge hinnehmen. Sein einziger Sohn blieb im Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien verschollen. Die Krankheit seiner Frau zwang ihn zum verfrühten Ruhestand.

Georgis Foto der Station wurde später für die Illustration seines Buches: “Im Eis vergraben” verwendet.

Er selber wurde durch eine seltene Virusinfektion mit einer Nervenlähmung am Hals behindert. In jungen Jahren hatte Johannes Georgi sich der Jugendbewegung der „Wandervögel“ angeschlossen und blieb deren idealistischer Weltanschauung bis zum Schluss treu. Nach seinem erzwungenen Ruhestand engagierte er sich auf vielerlei Gebieten, auch in der Kommunalpolitik, und ließ sich für die Bezirkswahlen 1949 auf einer Liste mit unabhängigen Bürgern aufstellen. Noch lange fuhr er mit seinem Fahrrad durch Groß Borstel. Nur wenige werden wohl gewusst haben, welch bewegtes Leben Georgi hinter sich hatte. Johannes Georgi starb am 24. Mai 1972 im Alter von 83 Jahren. Seinen Nachlass stiftete er gemeinnützigen Zwecken. Im Dezember 1975 wurde die von der Köppenstraße abzweigende, zunächst in südlicher, dann in westlicher Richtung verlaufende und in einer Kehre endende Stichstraße Georgiweg benannt.
André Schulz