Das bewegte Leben der Sabine Gowa (geb. Spiero) (Teil 1)

Im Laufe der Zeit habe viele interessante und auch bedeutende Persönlichkeiten in Groß Borstel gelebt. Zu diesen gehörte auch der Unternehmer und Literaturwissenschaftler Heinrich Spiero, der mit seiner Familie, seiner Frau Olga und vier Töchtern, vor dem Ersten Weltkrieg im Lokstedter Damm lebte. Seine Lebensgeschichte, die in der Zeit des Nationalsozialismus einen tragischen Verlauf nahm, wurde in den Ausgaben des Borsteler Boten (Oktober und November 2024) erzählt. Aber auch das Leben seiner Töchter nahm durch die politischen Ereignisse in Deutschland einen ganz anderen Verlauf, als diese geplant hatten. Sabine Spiero, die älteste von Heinrich und Olga Spieros Töchtern, hätte sicher eine glänzende akademische Karriere gemacht, wenn sich die Verhältnisse in Deutschland ab 1933 nicht so radikal verändert hätten. Zu Sabine Spieros Geburt 1901 lebte die Familie noch in Hamburg-Hohenfelde. Auch die Töchter Josepha (1903) und Ursula (1906) kamen noch dort zur Welt, bevor das Ehepaar Spiero nach Groß Borstel zog, in eine geräumige Villa im Lokstedter Damm 15. Dort wurde als vierte Tochter 1911 Christine geboren. Sabine Spiero erlebte mit ihren Schwestern und ihren Eltern in Groß Borstel eine unbeschwerte Zeit. Neben seinen Aufgaben als Leiter der Hamburger Filiale des Familienbetriebs lehrte Heinrich Spiero als Dozent an der Kunstgewerbeschule in Hamburg. Sabine Spieros Eltern gehörten zur gehobenen Gesellschaft von Hamburg. Sie hatten viele Freunde und Kontakte unter den Künstlern und Literaten der Stadt und empfingen in ihrem Haus in Groß Borstel gerne Gäste. 1914 begann der Erste Weltkrieg. Heinrich Spiero leistete seinen Wehrdienst in Berlin im Beschaffungsamt der Wehrmacht. Nachdem 1917 sein Vater gestorben war, zog Heinrich Spiero mit seiner Familie zurück nach Berlin, wo sich die Zentrale des Familienunternehmens, eine Speditionsfirma, befand.

Sabine Spiero besuchte nach ihrer Schulzeit zunächst einen Vorkurs am Bauhaus in Weimar. Dann studierte sie Kunstgeschichte, Archäologie, Geschichte und Philosophie an den Universitäten in München, Frankfurt, Berlin und in Marburg. Am 24. Juni 1922 erschütterte die Ermordung des deutschen Außenministers Walther Rathenau durch die rechtsradikale „Organisation Consul“ die junge Weimarer Republik. Rathenau war ein enger Freund von Sabine Spieros Vater. Sie kannte ihn persönlich. Durch den politischen Mord tief betroffen, schärfte sich ihr politisches Bewusstsein und sie wurde während ihrer Studentenzeit im linksliberalen „Kartell der Republikanischen Studenten Deutschlands und Österreichs“ politisch aktiv. 

1929 heiratete Sabine Spiero den Künstler und Bühnenbildner Heinrich Gowa, der ebenfalls aus Hamburg stammte, und nahm seinen Namen an. Zum Ende ihrer akademischen Ausbildung arbeitete Sabine Gowa an einer Dissertation über das von Karl Friedrich Schinkel erbaute Alte Museum in Berlin und fand bei ihren Forschungsarbeiten die Bauakten des Hauses wieder, die nach dem Bau (1825-1830) verschwunden waren, was einer wissenschaftlichen Sensation gleichkam. Ihre Promotion schloss Sabine Gowa 1933 mit „summa cum laude“ ab. Gleichzeitig bereitete sie schon ihre Habilitation über das gleiche Thema vor. Sie wäre einer der ersten weiblichen Professorinnen für Kunstgeschichte im Deutschen Reich geworden.

Zur Habilitation kam es jedoch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht mehr. Sabine Gowa und ihr Mann waren überzeugt, dass in einem von den Nationalsozialisten regierten Deutschland keine freie Lehre möglich sein würde, gaben ihre akademische Laufbahn auf und gingen nach Frankreich ins Exil. Auf Empfehlung der Universität Marburg erhält Sabine Gowa dort die Möglichkeit, gegen geringes Entgelt als „Conferenciere“ am Louvre einmal die Woche einen Vortrag über Kunst und Kunstgeschichte zu halten. Darüber hinaus arbeite sie acht Stunden am Tag bei einem Kunsthandwerker, der Broschen und Armbänder herstellte. In der Hoffnung auf Anerkennung ihrer akademischen Abschlüsse in Deutschland und einer Anstellung in Frankreich schrieb Sabine Gowa sich 1934 auch bei der Ecole du Louvre ein und erweiterte ihre Kenntnisse. Ihr Mann änderte seinen Namen in „Henry“ Gowa und arbeitete als freier Künstler und Bildhauer. Henry Gowa wünschte jedoch, dass seine Frau Sabine seine Arbeit als Hausfrau unterstützen würde, doch Sabine Gowa hat eigene beruflichen Ambitionen. Das Paar trennte sich und die Ehe wurde 1936 geschieden.

Nachdem sich Sabine Gowa 1937 in Vorträgen für deutsche Touristen der Pariser Weltausstellung abwertend über den Nationalsozialismus geäußert hatte, handelte sie sich eine Beschwerde der Deutschen Gesandtschaft in Paris ein und geriet in den Fokus der deutschen Behörden.

1939 begann der Zweite Weltkrieg. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Frankreich im Mai 1940 ließ die französische Regierung unliebsame Deutsche internieren. Dazu gehörten neben der Spionage verdächtigte Personen auch Antifaschisten und Emigranten, die in Frankreich Schutz gesucht hatten. Sabine Gowa wurde mit anderen Deutschen nach Südwestfrankreich ins Lager Gurs gebracht. Unter den Internierten befanden sich auch eine Reihe von prominenten deutschen Exilanten, darunter auch Hanna Ahrendt. Das Lager Gurs war ursprünglich als provisorische Unterbringung für politische Flüchtlinge und Kämpfer des Spanischen Bürgerkrieges errichtet worden und in keinem guten Zustand. Die Internierten mussten in den Baracken auf dem nackten Boden schlafen. Nach der späteren Übernahme des Lagers durch die Nationalsozialisten wurden Juden aus Südwestdeutschland hierhin deportiert.

Kurz bevor die deutsche Wehrmacht jedoch Westfrankreich erreichte, konnte Sabine Gowa mit Hilfe der Lagerleitung fliehen. Zusammen mit Freundinnen aus dem Lager versteckte sie sich in der Hafenstadt Bayonne als blinder Passagier auf einem auslaufbereiten Dampfer der französischen Marine, in der Hoffnung, dass dieser sie nach England bringen würde. Doch das erwies sich als Irrtum. Auf dem Schiff wurden Reste der französischen Armee nach Nordafrika verschifft, damit sie dort gegen das deutsche Afrikakorps kämpfen sollten.

Wie es Sabine Gowa in Nordafrika erging und wie sie doch noch zur ersehnten Professur kam, erfahren sie im zweiten Teil des Artikels im nächsten Heft des Borsteler Boten.

André Schulz