Vögel in Groß Borstel

Die Kanadagans

Kanadagans mit Gösseln

Sie gilt als die weltweit häufigste Gans: Die Kanadagans (Branta canadensis) aus der der Ordnung der Gänsevögel (Anseriformes), der Familie der Entenvögel (Anatidae) und der Gattung der Meergänse (Branta). Mit einer Körperlänge von 90 bis 100 cm, einer Flügelspannweite von 160 bis 175 cm und einem Gewicht bis zu 6,5 kg ist sie die größte in Europa in freier Wildbahn vorkommende Gänseart.

Von ihrer Gestalt muten die Vögel schwanenartig an. Der lange Hals und der Kopf sind schwarz. Ein weißes Kehlband erstreckt sich seitlich bis hinter die Augen. Der Körper zeigt sich graubraun, die Brust hell. Die Schwanzfedern sind dunkel, das Körperende ist weiß. Die Füße und Schnäbel sind schwarz. Männchen und Weibchen weisen die gleiche Färbung auf, wobei die Männchen die Weibchen in Sachen Größe und Gewicht deutlich übertreffen. Das Daunenkleid der Gänseküken – die auch Gössel genannt werden – hat eine grüngelbliche Farbe. Das Gefieder der Junggänse gleicht dem der erwachsenen Tiere.   

Der Ruf der Kanadagänse ertönt tief und trompetend. Er klingt wie „Ah-Honk“ oder „A-Rong“. Dabei liegt die Betonung auf der zweiten Silbe, deren Tonhöhe leicht ansteigt.

Der Name Kanadagans verdeutlicht, dass das ursprüngliche Verbreitungsgebiet dieses Vogels Nordamerika und hier insbesondere Kanada war. Mittlerweile sind sie jedoch als Brutvogel in Europa fest etabliert. Denn bereits ab dem 17. Jahrhundert wurden Kanadagänse nach England eingeführt, um Wassergeflügelsammlungen zu vervollständigen und den nach und nach der Natur nachempfundenen Landschaftsgärten mehr Lebendigkeit zu verschaffen. Mit ähnlicher Motivation wie in England fanden Kanadagänse auch im übrigen Europa ab 1875 Erwähnung als Ziergeflügel. Allerdings begann die weiträumige Ausbreitung der Art hier erst in den 1960er-Jahren.

In Hamburg wurden 1954 die ersten Kanadagänse ausgesetzt. 1964 gab es hier die erste Brut.

Heute gelten sie als weitverbreitete etablierte Wildvogelart im Hamburger Raum. Neben den Vier- und Marschlanden kommt es regelmäßig zu Bruterfolgen im innerstädtischen Raum, hier insbesondere im Eppendorfer Moor, auf dem Ohlsdorfer Friedhof, am Bramfelder See sowie am Alsterlauf und an der Berner Au. Zwischen 55 und 65 Brutpaare zählt Hamburg jährlich. Hinzu kommen rund 300 Nichtbrüter bzw. die Brut betreffend erfolglose Paare. Der Bestand in Deutschland beträgt zwischen 8.500 bis 14.500 Brutpaare und gilt als nicht gefährdet.

Kanadagänse ernähren sich im Sommer überwiegend von Gräsern und Wasserpflanzen, im Winter von Gräsern und Kräutern. Indem sie im Wasser ihren Hinterkörper anheben und mit den Füßen paddelnd eine Art Kopfstand machen, erreichen sie Wasserpflanzen in einer Tiefe bis zu 75 cm.

Kanadagänse bevorzugen Reviere mit Gewässern, die möglichst auch Inseln enthalten oder ein anderes ungestörtes Gebiet, in dem die Nester gebaut werden können und von dem aus die Umgebung gut zu beobachten ist. Die Vögel gehen meist langjährige Paarbindungen ein. Die Verpaarung beginnt bereits im zweiten Lebensjahr, obwohl Kanadagänse erst ab dem dritten Lebensjahr erfolgreich brüten. Das Balzverhalten leiten die Männchen ein, indem sie mit stark nach unten gebogenem Hals und auf der Brust aufliegender Schnabelspitze auf das Weibchen zuschwimmen. Schließlich reagiert das Weibchen, indem es ebenfalls mit stark gebogenem Hals den Schnabel auf die Brust legt. Bereits jetzt werden eventuelle Konkurrenten energisch vom Männchen vertrieben. War die Vertreibung erfolgreich, zeigt das Männchen ein Triumphverhalten, indem es Seite an Seite mit dem Weibchen schwimmt und laut trompetet. Ist das Weibchen an dem Männchen interessiert, beginnt es seine lauten Rufe zu erwidern. Dieses gemeinsame „Triumphieren“ und Eintauchen der Köpfe in das Wasser leitet schließlich die Paarung ein, bei der die Gans durch das Gewicht des Ganters fast gänzlich „versinkt“.

Kanadaggänsepaar Nest brütend
Kanadagans Gössel

Das Weibchen bestimmt die Stelle für den Nestbau. Dieses besteht meist nur aus einer Mulde, die mit Pflanzenteilen gegen die Umgebung abgegrenzt und reichhaltig mit Daunen ausgepolstert wird. Kanadagänse legen meist fünf bis sechs cremefarbene Eier, selten mehr. Es brütet ausschließlich das Weibchen. Das Männchen hält sich jedoch stets in der Nähe auf und verteidigt das Weibchen, das Nest und später die Gössel gegen Eindringlinge in das Brutrevier äußerst aggressiv. Dabei ist die Aggression gegen andere Kanadagänse stärker ausgeprägt als gegenüber sonstigen Eindringlingen.  Die Brutzeit beginnt gegen Ende März/Anfang April. Nach etwa 28 Tagen schlüpfen die Jungen und sind nach 60 bis 70 Tagen flugfähig. Sie bleiben in der Regel bis zur nächsten Brut mit den Eltern zusammen.

In die Brutzeit fällt auch die Mauser der Alttiere. Wie andere Gänse auch sind die Kanadagänse dann für vier bis fünf Wochen flugunfähig. Ihre Flugfähigkeit erlangen sie etwa zu der Zeit wieder, in der auch die Jungvögel flügge werden.

Hat ein Kanadaganspaar keinen Bruterfolg, so kommt es vor, dass es schon mal den Nachwuchs eines anderen Paares entführt. 

In freier Wildbahn werden Kanadagänse selten älter als 12 Jahre. Den Rekord hält ein in Gefangenschaft gehaltenes Exemplar, das stolze 33 Jahre alt wurde.

Da sie sehr wachsame und wehrhafte Vögel sind, fallen ausgewachsene, gesunde Kanadagänse nur selten Fressfeinden zum Opfer. Auch die weitaus meisten Gösse überleben ihre ersten Lebenswochen. Allerdings erschweren sehr ungünstige Wetterverhältnisse mit hohen Niederschlagsmengen während der ersten Lebenswochen ihr Überleben beträchtlich.

In Regionen mit einer hohen Dichte an Kanada- und Graugänsen ist die Nistplatzkonkurrenz groß. Dort kommt es auch zu Hybriden zwischen beiden Arten. Allerdings bleiben die Kreuzungen aufgrund der großen genetischen Unterschiede unfruchtbar.

Kanadagänse sind Zugvögel. Während bei Standvögeln die Umsiedlung eine seit Jahrzehnten bewährte Praxis ist, galt sie lange Zeit bei Zugvögeln mit ihren erlernten Wanderrouten als wenig aussichtsreich. Doch gelang es dem Bildhauer William Lishmann im Herbst 1993, eine kleine Schar Kanadagänse, die von Menschen aufgezogen worden waren, mit einem Ultraleichtflugzeug von Ontario in das Überwinterungsgebiet Virginia zu führen. Fast alle kehrten im folgenden Frühjahr selbstständig auf die Farm zurück, auf der man sie großgezogen hatte. Auch weitere Experimente in den Folgejahren mit größeren Gänsegruppen glückten, sodass Lishmann beweisen konnte, dass von Menschen aufgezogenen Vögeln ein natürliches Zugverhalten antrainiert werden kann. 

Darüber hinaus waren Lishmanns Flüge die Anregung zu dem Film „Amy und die Wildgänse“, in dem die Protagonistin ebenfalls mit einem Ultraleichtflugzeug ihre handaufgezogenen Kanadagänse in ein geeignetes Überwinterungsgebiet führt.

Am 15. Januar 2009 lösten Kanadagänse fast eine Tragödie aus. Denn an diesem Tag startete ein Airbus A320 vom Flughafen LaGuardia (New York City). Etwa drei Minuten nach dem Abheben wurden in etwa 1000 Meter Höhe Kanadagänse in die Triebwerke gesogen, woraufhin diese ausfielen. Glücklicherweise gelang dem Piloten – etwa drei Minuten später – im Gleitflug eine beeindruckende Notwasserung auf dem Hudson River. Alle 155 Personen an Bord überlebten.

Die eigentlich harmlosen Kanadagänse können also eine echte Gefahr für den Luftverkehr darstellen…

Text und Fotos:

Michael Rudolph