Vögel in Groß Borstel
Der Kleinspecht
Schon sein Name verrät, dass er der kleinste unter den europäischen Spechten ist – der Kleinspecht (Dryobates minor). Dabei handelt es sich um einen Vogel aus der Unterfamilie der Echten Spechte (Picinae) in der Familie der Spechte (Picidae).
Der wegen seiner Unauffälligkeit leicht zu übersehende Vogel ist mit einer Länge von 14 bis 16 cm nur etwa so groß wie ein Sperling. Die geringe Größe und das Fehlen roter Färbung am Unterschwanz unterscheiden ihn deutlich von anderen in Groß Borstel vorkommenden Spechtarten wie Buntspecht und Mittelspecht. So ist das Rückengefieder des Kleinspechts schwarz und wird von weißen Querbändern durchzogen, die zu einem weißen Rückenfleck zusammenlaufen. Brust und Bauch sind weiß und weisen eine leichte graue Strichelung auf. Der Scheitel des Männchens präsentiert sich rot, der des Weibchens schwarz. Der schiefergraue Schnabel der Vögel ist bis zu 18 mm lang. Das Jugendgefieder ähnelt dem der Weibchen, ist aber blasser.
Da Kleinspechte in Deutschland Standvögel sind, können sie hier auch im Winter beobachtet werden. Hingegen ziehen nordeuropäische Populationen im Winter nach Süden. So lassen sich auf Jütland und in Norddeutschland Kleinspechte aus Schweden und Norwegen beobachten.
Der Ruf des Vogels ist ein scharfes „kjik“ und ähnelt dem des Buntspechts, mutet aber etwas weicher an. Besonders im Frühjahr kann man lange Folgen an nasalen Rufreihen („kie-kie-kie-kie“) hören. Das von Mitte November bis Mitte Juni von beiden Geschlechtern zur Revierabgrenzung vorgetragene Schnabeltrommeln auf dürren Ästen oder Metallen klingt eher schwach. Gleichzeitig ist es aber so schnell, dass es wie Knattern wirkt. Dabei sind die Pausen zwischen den bis zu 15 „Trommelwirbeln“ sehr kurz.
Ihre Nahrung suchen Kleinspechte bevorzugt im äußeren Astbereich der Baumkronen. Sie besteht aus Käfern und Larven, die sie dort unter lockerer Baumrinde finden. Aber auch Blattläuse, Spinnen, Schnecken und Raupen fressen die Vögel sehr gerne.

Kleinspechte kommen in ganz Europa, in Nordafrika und in Asien bis nach Japan vor. In Deutschland sind sie mit Ausnahme der Nordseeküste und Süddeutschlands flächendeckend verbreitet, aber nicht häufig. Hier wird ihr Bestand auf 25.000 bis 37.000 Brutpaare geschätzt.
Eine flächendeckende Verbreitung der Kleinspechte gibt es auch im Hamburger Raum – mit Ausnahme der Innenstadt, baumarmer Teile der Geest und größerer monotoner Fichtenforste.
Zwar war der Kleinspecht im frühen 20. Jahrhundert noch in Gärten bis in die Innenstadtnähe vertreten – jedoch hat die Art seitdem viele Brutplätze an die „wachsende Stadt“ verloren. In Groß Borstel existieren Brutnachweise für das Eppendorfer Moor. Der Bestand in Hamburg beträgt etwa 130 Brutpaare.
Kleinspechte besiedeln bevorzugt Erlen- und Birkenbruchwälder, in denen kranke oder tote Bäume ihnen viele Möglichkeiten zum Höhlenbau und zudem eine gute Nahrungsgrundlage bieten. Solche Höhlenbäume finden sich besonders an von Staunässe beeinflussten Standorten wie zum Beispiel dem Eppendorfer Moor, Duvenstedter Brook oder Alstertal. Gelegentlich besiedeln die Vögel auch Parks oder Streuobstwiesen. Bevorzugt klettern sie an den Unterseiten von Ästen hoch in den Baumkronen umher, sodass sie meist nur schwer zu entdecken sind.
Die durchschnittliche Reviergröße des Vogels liegt zwischen 50 und 100 Hektar. In optimalen Kleinspechthabitaten kann er jedoch sogar Siedlungsdichten wie der Buntspecht erreichen, also bis zu zwei Brutpaare auf 10 Hektar.
Die Frühjahrsbalz hat ihren Schwerpunkt in den Monaten März und April. Kleinspechte leben monogam. Beide Partner zimmern gemeinsam ihre bis zu 15 cm tiefe Bruthöhle bevorzugt in das weiche Holz vermodernder Baumstämme oder Äste in einer Höhe von einem halben Meter bis zu zwanzig Metern über dem Erdboden. Jährlich wird eine neue Nisthöhle vollendet.

Das Weibchen legt vier bis sieben Eier, die abwechselnd von beiden Elternteilen bebrütet werden. Sobald nach etwa zwei Wochen die Jungen geschlüpft sind, füttern beide Eltern sie mit Käfern, Larven, Puppen und Ameisen, wobei das Männchen den Hauptanteil leistet. Nach etwa drei Wochen verlassen die Jungen die Nisthöhle, werden aber auch außerhalb noch einige Wochen von den „Erzeugern“ versorgt und schließlich zur eigenen Futtersuche animiert.
Die Bestände der Kleinspechte sind bedroht – vor allem wegen der immer weniger werdenden lichten Bruchwälder, der Aufforstung mit Nadelhölzern, des Rückgangs des Obstanbaus, der „wachsenden Stadt“ und sehr wahrscheinlich auch durch die stärker wachsende Population der Buntspechte.
Seit dem Jahr 2020 steht der Kleinspecht in der Roten Liste der gefährdeten Brutvögel Deutschlands. Das höchste bisher bei Kleinspechten festgestellte Alter beträgt zehn Jahre und wurde von einem beringten Weibchen in Schweden erreicht.
Text und Fotos:
Michael Rudolph


