Das bewegte Leben der Sabine Gowa (geb. Spiero) (Teil 2)
Sabine Gowa, in Groß Borstel aufgewachsene Tochter des Literaturwissenschaftlers Heinrich Spiero, stand kurz vor der Habilitation als Kunsthistorikerin, als die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen. Sie ging nach Frankreich ins Exil. 1941 wurde sie interniert, konnte fliehen und wollte sich nach England einschiffen. Stattdessen kam sie nach Nordafrika (Teil 1).
Die Frauen wurden nach der Landung des Dampfers an der Nordafrikanischen Küste entdeckt und zunächst im französischen Gefangenenlager in Aïn Chock, am Rande der Sahara, erneut interniert. Über Casablanca kamen die Frauen schließlich nach Marrakesch, wo sie nun unter den Arabern lebten. Der Aufenthalt unter den Vichy-Franzosen in Casablanca war ihnen nicht gestattet.
Von Nordafrika aus nahm Sabine Gowa Kontakt zu ihrer Schwester Ursula auf, die in die USA emigriert war. Mit Hilfe ihrer Schwester und der Fürsprache des 1933 ebenfalls in die USA emigrierten Theologen und Religionsphilosophen Prof. Paul Tillich erhielt sie ein Refugee- Visum der USA.
In ihren ersten Jahren in den USA arbeitete Sabine Gowa in New York halbtags als Reinemache-Frau in sieben verschiedenen Arztpraxen und erwirtschafte sich damit ein bescheidenes Existenzminimum. Die Nachmittage nutzte sie, um Englisch zu lernen und mit Besuchen von Kunstmuseen den Kontakt zur Kunst zu behalten. Durch Zufall traf sie dabei einige Zuhörer ihre früheren Vorträge im Louvre wieder und baute sich nun zwei Zuhörerkreise, einen deutschen und einen französischen, für Vorträge über Kunst und Kunstgeschichte auf, für den äußerst bescheidenen Eintrittspreis von 50 Cent pro Person.
Während ihres erzwungenen Aufenthalts in Nordafrika hatte Sabine Gowa in Gesprächen mit den Bewohnern Einblicke in die politischen Verhältnisse der arabischen Länder gewonnen. Dank dieser Kenntnisse erhielt sie 1949 eine Anstellung bei der UNO in New York. Sie wurde dort stellvertretende Vorsitzende des Speakers Research Committee der US-Mission bei den Vereinten Nationen.
Ihr Ziel blieb es aber, auch in der neuen Heimat auf dem Gebiet der Kunst und der Kunstgeschichte beruflich Fuß zu fassen. Und sie hatte Erfolg. Nachdem sie auch in Blindenheimen Vorträge über Kunst und Kunstgeschichte gehalten hatte, bewarb sie sich 1957 mit der Idee einer Audio-Beschreibung von Kunstwerken bei der Radiostation der katholischen Fordham University und wurde angenommen. Ihre Sendungen mit dem Titel „More than meets the eye“ (Mehr als das Auge sehen kann) fand gute Resonanz und in der Folge wurde für Sabine Gowa an der Universität ein Lehrstuhl für Kunstgeschichte eingerichtet. Obwohl die Universität mit damals 10.000 Studenten gut besucht war, hatte es bis dahin keinerlei Angebote für Kunstgeschichte, besonders nicht für Europäische Kunstgeschichte gegeben.
1961 erhielt Sabine Gowa eine weitere Stelle als Chairman Art-History Department am St. Peter’s College in New York und New Jersey. Auf diese Weise erreichte sie 40 Jahre nach ihrem in Deutschland begonnenen Studium und langen Bemühungen im Alter von fast 60 Jahren in den USA mit einer Assistenz-Professur doch noch ihr akademisches Ziel.
Auf der Webseite der Fordham University findet man die Erinnerungen eines Studenten, der in den 1960er Jahren die Seminare von Sabine Gowa besuchte. Die Kunstgeschichte-Dozentin aus Europa erschien den US-amerikanischen Studenten einigermaßen geheimnisvoll. Sie glaubten, dass sie wegen Mitarbeit in der französischen Resistance in einem deutschen KZ eingesperrt gewesen war, was nur vage den Tatsachen entsprach. Der Zeitzeuge berichtet, dass die Studenten an der Kunstgeschichte nicht besonders interessiert waren und nur wegen der Credits teilnahmen. Sabine Gowa nahm ihren Auftrag hingegen sehr ernst. Als ihre Studenten unvorbereitet zum Unterricht erschienen waren, verließ Sabine Gowa den Seminarraum und erschien auch zur nächsten Unterrichtsstunde nicht. Die Studenten fragten verwundert in ihrem Sprechzimmer nach und erhielten die Auskunft, dass ihre Dozentin erst dann wieder ihre Lektionen fortsetzen würde, wenn die Studenten gewillt wären, den Unterricht vorbereitet zu verfolgen. Auf der Grundlage dieser Übereinkunft konnte es mit dem Seminar weitergehen. Sabine Gowa verschaffte sich aber auch fachlich Respekt. Sie wusste viel, entlarvte im örtlichen Museum eine neu erworbene Skulptur als Fälschung und präsentierte anlässlich eines Vortrages über Picassos berühmtes Werk „Guernica“ eine Diaserie, in der sie Picasso bei der Arbeit an diesem Werk sah und sie selber im Gespräch mit dem vielleicht berühmtesten aller Maler zu sehen war. Offensichtlich hatte sie Picasso besucht, als dieser 1937 in seinem Atelier in der 7 Rue des Grands-Augustins in Paris bei der Arbeit an seinem Meisterwerk war.
Als Sabine Gowa Mitte der 1960er Jahre ihr Rentenalter erreicht hatte, beschloss sie, nach Europa zurückzukehren. Sie wollte nicht in finanzieller Ungewissheit in einem Land ohne staatliche Sozialversicherung ihren Lebensabend verbringen. Zudem war sie in den USA nie richtig heimisch geworden. 1967 verließ Sabine Gowa die USA und fand in der Nähe von Toulon, in Castelnau d’Estrétefonds einen neuen Lebensmittelpunkt. Sie lebte dort bei den „Les PetitesSoeurs de Marie, Mère du Rédempteur“, einem kleinen Orden, der erst 1939 in Toulouse ins Leben gerufen worden war und 1963 in Castelnau d’Estretefonds eine zweite Lebensgemeinschaft begründet hatte. Der Orden bewohnte das Schloss von Castelnau d’Estrétefonds. Das alte Gebäude weckte das Interesse von Sabine Gowa und sie beschäftigte sich bald mit der Geschichte des Hauses. Das Ergebnis ihrer Forschungen veröffentlichte sie 1987 in dem Buch „Castelnau d’Estrétefonds: Mille ans de culture et d’agriculture toulousaines“ (Castelnau d’Estrétefonds: Tausend Jahre Kultur und Landwirtschaft in Toulouse). Nach ihrem mühsamen Lebenslauf hielt das Schicksal für Sabine Gowa einen langen Lebensabend bereit. Sabine Gova starb am 23. März des Jahres 2000, einige Wochen vor ihrem 99. Geburtstag.
Für ihre Unterstützung danke ich Karola Bürkner und der Fordham University, vertreten durch Gabriella DiMeglio
André Schulz







