100 Jahre Atlantik-Expedition auf der „Meteor“ (Teil I)
Vieles, was wir heute über die Welt wissen, wurde in Forschungsreisen zu Beginn des letzten Jahrhunderts ermittelt. Eine dieser Fahrten erfährt in diesem Jahr ein Jubiläum. Vor 100 Jahren stach das deutsche Forschungsschiff Meteor in See. Zwei Jahre lang untersuchten Wissenschaftler, unter anderem von der Hamburger Seewarte, die Beschaffenheit und die klimatischen Bedingungen unter und über der Wasseroberfläche des Atlantischen Ozeans. Einer der Wissenschaftler war Erich Kuhlbrodt, der über eine lange Zeit als Assistent von Alfred Wegener zusammen mit seinem Chef auf dem Groß Borsteler Feld hinter dem heutigen Moorweg in einer Drachenstation Wetterdaten gesammelt hatte.
Alfred Wegener und Erich Kuhlbrodt kannten sich aus ihrem gemeinsamen Wehrdienst im Ersten Weltkrieg. Wegener gehörte dem Heereswetterdienst an. Auf der Suche nach Mitarbeitern wurde ihm 1917 an seinem letzten Einsatzort in Mazedonien Erich Kuhlbrodt zur Seite gestellt. Nach dem Krieg wurde Wegener an die Deutsche Seewarte nach Hamburg berufen, an der schon sein Schwiegervater Wladimir Köppen als Abteilungsleiter beschäftigt war. Nachdem Wegener 1919 die Position seines Schwiegervaters übernommen hatte und 1921 auch zum außerordentlichen Professor an der neu gegründeten Universität ernannt worden war, holte er sich Erich Kuhlbrodt als Assistenten, um genügend Freiraum für seine wissenschaftlichen Arbeiten zu bekommen. Wegeners Name ist heute eng mit der Theorie des Kontinentaldrifts verbunden. Zu Lebzeiten fand Wegener allerdings keine Akzeptanz dieser Theorie. Erst als man in den 1960er-Jahren entdeckte, dass die Kontinente sich auf Platten im Magma der Erdkruste bewegen, fand Wegeners Theorie posthum die verdiente Anerkennung. Wegener wohnte bis 1924 mit seiner Frau Else im Haus seines Schwiegervaters in der damaligen Violastraße, heute Köppenstraße, im Haus Nr. 7. Im Jahr 1924 nahm Wegener allerdings einen Ruf der Universität Graz an und zog aus Hamburg und Groß Borstel weg. Wladimir Köppen ging mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn mit nach Österreich. Und Wegners Assistent Erich Kuhlbrodt trat nun Wegeners Nachfolge im Seewetteramt an.


Kuhlbrodt wohnte zwar im Unterschied zu Köppen und Wegener nicht in Groß Borstel, hielt sich hier aber oft auf. In den Feldern hinter seinem Haus hatte Köppen als Außenstation des Seewetteramtes eine Drachenstation eingerichtet, nicht mehr als ein Schuppen mit einem Schreibtisch und Gerätschaften, um Wetterdrachen in die Höhe aufsteigen zu lassen. An den Drachen waren Instrumente befestigt, um Höhen- und Windmessungen vornehmen zu können. Die Messergebnisse wurden akribisch notiert, um Erkenntnisse über die Luftbewegungen von Norddeutschland zu gewinnen. Wegener und dann Kuhlbrodt setzten Köppens Arbeit fort. Mit Johannes Georgi wohnte ein weiterer Meteorologe in Groß Borstel, der ebenfalls im Seewetteramt arbeitete. In seinem Haus – das alte Reetdachhaus an der Borsteler Chaussee steht dort immer noch – hatte Kuhlbrodt seine Frau kennengelernt. Sie war Georgis wissenschaftliche Assistentin.

Schon im Jahr 1922 hatten Wegener und Kuhlbrodt auf dem Frachtschiff „Sachsenwald“ eine verdeckte Forschungsfahrt auf dem Atlantik unternommen. Dem Deutschen Reich waren gemäß den Auflagen aus dem Versailler Vertrag solche Forschungsfahrten nicht erlaubt, weshalb die Wissenschaftler in den Logbüchern der Sachsenwald als Schiffspersonal aufgeführt waren. Tatsächlich unternahmen sie im Auftrag der Deutschen Luftfahrtindustrie mithilfe von Wetterballons vor allem Windmessungen. Man dachte in dieser Zeit an transatlantische Flüge als Alternative zur Überquerung des Atlantiks mit Schiffen. Und als Flugzeuge sollten vor allem die langstreckenfähigen, allerdings windanfälligen Zeppeline dienen.
Vier Jahre später war die Situation aus Sicht des Deutschen Reichs verbessert und auch Forschungsreisen offiziell wieder erlaubt.
Die ersten Pläne für eine große deutsche Forschungsexpedition zur See gingen schon auf die Jahre 1919/1920 zurück. Die deutsche Marine war nach dem Krieg durch den Versailler Vertrag auf eine kleine Rumpfmarine reduziert und nur noch im Besitz weniger Schiffe. Während des Krieges hatte die Marine allerdings noch den Bau eines Kanonenbootes, das Meteor heißen sollte, in Auftrag gegeben. Es sollte hauptsächlich zum Schutz der Kolonien eingesetzt werden. Als zweite Aufgabe sollte das Boot aber auch Forschern an Bord Gelegenheit geben, in Übersee Messungen vorzunehmen. Insofern war die Hamburger Seewarte schon von Anfang an in die Planungen involviert. Die Meteor wurde vor Kriegsende nicht mehr fertiggestellt, die Deutsche Marine wollte es aber aus den oben genannten Gründen behalten. Als Kriegsschiff war das jedoch nicht möglich. Deshalb deklarierte die Deutsche Marine die Meteor gegenüber den alliierten Kontrollbehörden als Vermessungsschiff und ließ das Schiff im Zuge des Weiterbaus für eine zivile Verwendung umbauen.
Die ursprüngliche Idee war dabei die Durchführung einer großen dreijährigen Pazifik-Expedition. Die Meteor sollte deshalb im Weiterbau eine technische Ausrüstung erhalten, die es dem Schiff und seiner Besatzung ermöglichte, im Verlauf der Reise 9000 Seemeilen zu bewältigen. Aus diesem Grund war ein Dieselantriebs vorgesehen, anstelle des zunächst geplanten kohlegetrieben Dampfantriebs. Als Forschungsziele wollte man weitere Erkenntnisse über die Entstehung der Kontinente und Ozeane gewinnen, die Struktur der Tiefseegräben und Tiefseerinnen erkunden und als hydrografische Aufgabe die allgemeinen Wasserbewegungen der Ozeane messen. So waren sich die Forscher uneins, ob es auf der nördlichen Halbkugel jeweils unabhängige Wasserkreisläufe gibt oder ob ein Austausch zwischen den Hemisphären stattfindet. Der Ursprung und der Verlauf der Gezeiten stand ebenfalls im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung.
Daneben gab es aber durchaus auch eine politische Zielsetzung, denn die deutsche Marine wollte mithilfe des Vermessungsschiffs in Übersee, darunter in den Gebieten ehemaliger Kolonien wieder „Flagge zeigen“. Doch es kam ganz anders.
Wie dieses Projekt scheiterte und dennoch ein großer Erfolg erzielt wurde, lesen Sie in der nächsten Ausgabe des Borsteler Boten.
André Schulz